„. . . zu viel Glauben geschenkt“?
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Reichszahnärzteführer Stuck 1938 vor deutschen Zahnärzten im Reichstagssitzungssaal in der Krolloper in Berlin Bild: zm-Archiv
Nach 1945 schienen nur wenige Zahnärzte in Deutschland so mit dem NS-Regime verstrickt gewesen zu sein, dass sie als kompromittiert gelten mussten. Viele konnten in der Bundesrepublik Karriere machen. Für die jüdischen Opfer in ihren Reihen galt dies nicht.
Von November 1945 bis April 1949 fanden zwölf „Nürnberger Prozesse“ statt. Unter den insgesamt 185 NS-Kriegsverbrechern, die angeklagt wurden, waren zahlreiche Ärzte, jedoch nur ein Zahnarzt: Hermann Pook, SS-Obersturmbannführer und Vorgesetzter der Zahnärzte in den Konzentrationslagern. Pook kam glimpflich davon: Er wurde im November 1947 zu zehn Jahren Freiheitsstrafe verurteilt, doch frühzeitig begnadigt und Anfang 1951 aus dem Gefängnis in Landsberg entlassen.
Die singuläre Anklage Pooks schien ein deutliches Indiz zu liefern für die Annahme, dass die Zahnärzteschaft allenfalls marginal an den NS-Verbrechen mitgewirkt hatte. Für diese – durchaus angenehme – Sichtweise glaubte man noch weitere Anhaltspunkte ausmachen zu können: Die Psychiater und die Chirurgen waren unübersehbar in die verbrecherischen Praktiken der NS-„Euthanasie“ oder der Zwangssterilisationen eingebunden, etwa als Leiter psychiatrischer Einrichtungen, als ärztliche Mitglieder der „Erbgesundheitsgerichte“ oder als „zur Unfruchtbarmachung ermächtigte“ Operateure. Die Zahnärzte aber waren nach eigener Einschätzung lediglich Spezialisten für die orale Gesundheit. In der Zahnheilkunde ging es, so die bequeme Selbstexkulpation, weder um Leben und Tod noch um Verbrechen an Patienten. Überdies hatte die große Mehrheit der prominenten Vertreter der Zahnärzteschaft im „Dritten Reich“ spätestens 1948 die Hürden der Entnazifizierung genommen; die Betroffenen kehrten an die Hochschulen und in die Praxen zurück und machten vielfach Karriere.
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