Weimarer Verhältnisse? (2) : Die wahren Totengräber der Republik
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Werbeautos des „Stahlhelms“, eines Verbunds radikaler Weltkriegsveteranen, demonstrieren in den Straßen Berlins 1929 für das Volksbegehren gegen den Young-Plan Bild: akg-images / TT News Agency / SV
Die Weimarer Republik ging nicht wegen Brünings Sparpolitik zugrunde. Ihre Schwäche war vielmehr eine Folge der Kumulation ungelöster Probleme, die ab 1929 aus dem Ruder liefen.
Über wenige Themen der jüngeren Geschichte ist so intensiv diskutiert worden wie über den Untergang der Weimarer Republik. Galt dabei lange die These von der „Republik ohne Republikaner“ als ausschlaggebend, die in der Krise unter dem Ansturm rechts- und linksradikaler Kräfte zusammengebrochen sei, so verschob sich der Fokus später auf die Weltwirtschaftskrise und deren Zuspitzung im Sommer 1931. Diese habe auch deshalb zum Untergang der Republik geführt, weil spätestens jetzt große Teile der bürgerlichen Eliten von einer vom Parlament unabhängigen Regierung keine Besserung ihrer Situation mehr erwartet hätten. Totengräber der Republik war hiernach vor allem Reichskanzler Heinrich Brüning, der mit seiner Austeritätspolitik die Krise dramatisch verschärft habe. Hätte Brüning eine andere Politik betrieben und die Großindustrie nicht aus egoistischen Gründen den Weimarer Sozialstaat zerstört, so die Annahme, hätte das Experiment Weimar keineswegs in der Machtübernahme Hitlers enden müssen.
Das scheint in der Tat für viele bis heute festzustehen: Weimar ist nicht in einer zumindest kurzfristig unbeherrschbar gewordenen Problemlage untergegangen, sondern scheiterte am fehlenden Willen der verantwortlichen Eliten. Deren Fehlverhalten ist im Einzelnen nicht zu bestreiten. Aber waren es nicht gerade die ungelösten Probleme der Nachkriegszeit und des Weimarer Sozialstaates, die in der Weltwirtschaftskrise die Politik überforderten – Probleme, für die die Regierung Brüning wenig konnte, weil sie sie ja von ihren Vorgängerregierungen geerbt hatte?
Offensichtlich gab es eine Kumulation von Problemen, die das politische System der Weimarer Republik längst vor der Weltwirtschaftskrise schwer belasteten. Die Weltwirtschaftskrise spitzte diese Lage schließlich dramatisch zu. Deshalb musste es nicht zwangsläufig zu einer Regierung Hitler kommen. Aber wenn Weimar heute als Menetekel demokratischer Politik gesehen wird, dann wohl eher wegen der schließlich kaum mehr beherrschbaren Anhäufung von Problemen. Und diese begann nicht erst 1929.
Im Kern der Weimarer Problemkonstellation standen wirtschaftliche und soziale Schwierigkeiten ganz unterschiedlicher Art, vor allem als Folge des Großen Krieges. Dass sich die erste deutsche Republik als Sozialstaat verstand, hatte gleichermaßen mit der Versorgung der Kriegsopfer wie mit dem Selbstverständnis einer modernen Demokratie zu tun: die materiellen Interessen vor allem der ärmeren Bürger konnten nicht länger ignoriert oder bestenfalls wohlwollend-patriarchalisch behandelt werden. Konkret hieß das: Eine verarmte Republik hatte einen sehr viel aufwendigeren Staat zu finanzieren. Der Staatsanteil an der wirtschaftlichen Gesamtleistung, der vor 1914 bei etwa 15 Prozent gelegen hatte, musste deutlich steigen.
Die Erzbergersche Steuerreform, mit der 1919/20 ein modernes Steuersystem geschaffen wurde, war vor allem eine massive Steuererhöhung. Das fiel anfangs nicht sonderlich auf. Denn Reichsregierung und Reichsbank setzten zur Stabilisierung der Republik zunächst weiter auf die Notenpresse. Das gelang, doch lief die Inflation spätestens mit der Zuspitzung des Reparationskonflikts 1921 aus dem Ruder. Nach der Ruhrbesetzung 1923 kam es zur Hyperinflation. Als die Währung im Herbst 1923 saniert wurde, waren die vorhandenen Bargeldbestände und entsprechenden Papiere schließlich wertlos. Die Inflation war nichts anderes als eine Enteignung der Bevölkerung, der die Kriegslasten aufgebürdet wurden; für die Akzeptanz der Republik in breiten Kreisen des ehedem wohlhabenden Bürgertums war das ein schwerer Schlag.