100 Jahre Kriegsende : Pflicht und Schuldigkeit
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So könnte es gewesen sein: Die Ausrufung der Republik durch Philipp Scheidemann in einer nachgestellten Aufnahme aus den 1920er Jahren. Bild: Picture-Alliance
9. November 1918: Seit hundert Jahren gibt es eine deutsche Republik. Ihre Geburt war schmerzhaft – doch sie war entscheidend für die Einübung der Demokratie.
Am Anfang stand eine Dolchstoßlegende. Im September 1918 war der faktische Chef der Obersten Heeresleitung, Generalquartiermeister Erich Ludendorff, zu der Einsicht gelangt, dass Deutschland den Krieg verloren hatte. Die Verantwortung hierfür sollte aber nicht die militärische Führung übernehmen, sondern die „Mehrheitsparteien“ des Reichstags, die Sozialdemokraten, das katholische Zentrum und die linksliberale Fortschrittliche Volkspartei, die sich im Juli 1917 in einer Resolution für einen Verständigungsfrieden ohne erzwungene Gebietsabtretungen ausgesprochen hatten. Am 29. September überzeugte Ludendorff Kaiser Wilhelm II. von diesem Kalkül, zwei Tage später erklärte er vor hohen Offizieren, er habe Seine Majestät gebeten, „jetzt auch diejenigen Kreise an die Regierung zu bringen, denen wir es in der Hauptsache zu danken haben, dass wir soweit gekommen sind. Wir werden also diese Herren jetzt in die Ministerien einziehen sehen. Die sollen die Suppe jetzt essen, die sie uns eingebrockt haben.“
Die Mehrheitsparteien waren bereit. Von einem Regimewechsel in Berlin, der Umwandlung der konstitutionellen Monarchie des Kaiserreichs in eine parlamentarische Demokratie, versprachen sie sich eine günstige Wirkung auf den amerikanischen Präsidenten Woodrow Wilson, in dem sie einen Fürsprecher eines milden Friedens sahen. Bei den Mehrheitssozialdemokraten um Friedrich Ebert und Philipp Scheidemann, die, anders als die im April 1917 gegründete Unabhängige Sozialdemokratische Partei Deutschlands (USPD), an dem 1914 vereinbarten „Burgfrieden“ festhielten und dem Deutschen Reich bis zuletzt Kriegskredite bewilligten, kam noch ein weiteres Motiv hinzu. Am 23. September 1918 nannte es Friedrich Ebert vor den Führungsgremien seiner Partei „die verdammte Pflicht und Schuldigkeit“ der Sozialdemokraten, sich mit den bürgerlichen Parteien und der Regierung zu verständigen. Andernfalls drohten, wie in Russland, Chaos und Gewaltherrschaft, Terror und Bürgerkrieg. Wenn 1918 etwas nicht auf der Tagesordnung der größten deutschen Partei stand, war es eine Revolution von unten.
Am 3. Oktober 1918 traten Vertrauensmänner der Mehrheitsparteien in die Regierung des am selben Tag ernannten neuen Reichskanzlers Prinz Max von Baden ein. Dreieinhalb Wochen später, am 28. Oktober, wurde die Reichsverfassung von 1871 in einem entscheidenden Punkt geändert: Fortan bedurfte der Reichkanzler des Vertrauens des Reichstags. Doch diese Reform stand weithin auf dem Papier. Große Teile des Militärs dachten nicht daran, sich den Direktiven der neuen, von der Mehrheit des Reichstags getragenen Regierung zu beugen. Als die Seekriegsleitung Ende Oktober wider alle Vernunft beschloss, die Hochseeflotte gegen England auslaufen zu lassen, betrieb sie Politik auf eigene Faust – und das auf eine Weise, die es nahelegt, von einem Putschversuch zu sprechen.
Im November meuterten die Matrosen - und lösten eine Massenbewegung aus
Die Antwort auf die Obstruktion der Oktoberreform durch einen Teil der Militärführung war die Revolution von unten. Eine Meuterei von Matrosen in Wilhelmshaven und Kiel weitete sich innerhalb weniger Tage zu einer Massenerhebung gegen das alte, monarchische System aus. Als erster Thron stürzte am 8. November der wittelsbachische. Am Morgen des 9. November erreichte die revolutionäre Erhebung Berlin. Um nicht der radikalen Linken, den Revolutionären Obleuten in der Metallindustrie und der Spartakusgruppe um Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg auf dem äußersten linken Flügel der USPD in die Hände zu spielen, stellte sich die Partei der Mehrheitssozialdemokraten, die MSPD, an die Spitze der Bewegung. Sie rief die Arbeiter der Reichshauptstadt zum Generalstreik auf und trat in Verhandlungen mit der USPD über die Bildung einer gemeinsamen Regierung ein.