Organspende : Widersprüchlich und keine Lösung
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Eine schwierige Entscheidung: Wie lässt sich die Zahl der Organspender erhöhen? Bild: dpa
Unter dem Namen „doppelte Widerspruchslösung“ liegt dem Bundestag ein Gesetzentwurf vor, der zu einer Erhöhung der Zahl der Organspenden führen soll. Doch bei genauer Betrachtung entpuppt sich der Vorschlag als eindimensionales Wunschdenken. Ein Gastbeitrag.
In diesem Herbst entscheidet der Deutsche Bundestag darüber, wie der „Organknappheit“ entgegengewirkt werden kann. Den vorliegenden Gesetzentwürfen liegt die zutreffende Annahme zugrunde, dass die Organspende ein sinnvoller, solidarischer Akt mit schwerstkranken Personen ist. Unsere Gesellschaft ist aufgerufen, den verzweifelt, meist sehr lange und leider heute oft erfolglos auf ein Spenderorgan wartenden Patienten zu helfen. Entsprechend sind gesetzgeberische Anstrengungen zu begrüßen, die die Zahl der Organspenden steigern sollen. Allerdings ist genau darauf zu achten, ob die vorgesehenen Maßnahmen geeignet sind, dieses Ziel zu erreichen und welche Kollateralschäden drohen. Insoweit bestehen insbesondere gegenüber dem Gesetzentwurf, der sich „doppelte Widerspruchslösung“ nennt und maßgeblich von dem Gesundheitspolitiker Karl Lauterbach (SPD) und Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) verantwortet wird, ethische und rechtliche Bedenken.
Problematisch sind bereits die verwendeten Begrifflichkeiten: Die Bezeichnung als „doppelte Widerspruchslösung“ ist in mehrfacher Hinsicht irreführend. Von einer „Lösung“ zu sprechen erscheint der Komplexität und der Kompliziertheit der Regelungsaufgabe unangemessen. Wichtiger noch ist indes, dass der Gesetzentwurf letztlich keine doppelte Widerspruchsregelung vertritt. Diese setzte nämlich voraus, dass über die zu Lebzeiten erfolgende Willensäußerung (Zustimmung oder Widerspruch) des potentiellen Organspenders hinaus den Angehörigen eine eigenständige Entscheidungsmöglichkeit zugestanden würde. Diese Möglichkeit sieht der Gesetzentwurf jedoch ausdrücklich nicht vor. Sachlich zutreffend wäre es daher, analog zur derzeit gültigen „erweiterten Zustimmungsregelung“ von einer „erweiterten Widerspruchsregelung“ zu sprechen.
Die „Widerspruchslösung“ stellt zudem einen gravierenden Eingriff in ethisch relevante und verfassungsrechtlich geschützte Güter dar. Auch hier ist vor verharmlosenden Formulierungen zu warnen: So wird behauptet, die Widerspruchslösung verlange nicht mehr, als dass sich die Bürgerinnen und Bürger „zumindest einmal im Leben“ mit der so wichtigen Thematik „Organtransplantation“ beschäftigten. Schon das ist keineswegs banal. Denn es mag für den Einzelnen gute Gründe geben, sich mit einem hochemotional besetzten Thema wie dem eigenen Sterben nicht auseinandersetzen zu wollen. Grundrechtsrelevant ist zudem die damit verbundene Pflicht, sich zu dem Ergebnis dieser Selbstreflexion bekennen zu müssen. Schließlich und vor allem sind die Konsequenzen zu beachten. Die Rechtsfolgen einer Nichtbeschäftigung mit dem Thema sind gewichtig. Es ist nicht bloß ungewollte Folge, sondern gerade Sinn der Gesetzesänderung, dass der unterlassene beziehungsweise nicht dokumentierte Widerspruch als Legitimation der Organspende verwendet wird, soweit in Ermangelung einer klaren Erklärung der Angehörigen die gesetzliche Fiktion eines Einverständnisses greift. Schweigen bedeutet Zustimmung.
In dem Gesetzentwurf wird in höchst unglücklicher Weise aus der Tatsache, dass Menschen abstrakt die Organspende befürworten, auf ihre konkrete individuelle Spendebereitschaft geschlossen. Damit wird nicht nur der im Begriff der „Spende“ mitgedachte Charakter einer freiwilligen Gabe unterminiert. Letztlich etabliert der Gesetzentwurf eine kollektive Erwartungshaltung hinsichtlich des Zur-Verfügung-Stellens des eigenen Körpers, die man nicht widerlegen, sondern der man sich lediglich prozedural entziehen kann („Organabgabeerwartung mit Widerspruchsvorbehalt“).