Gras im Wind?
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Gerd Winner, No Bild: Reprofoto Jan-David Grommas
Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts über das Verbot der geschäftsmäßigen Sterbehilfe ist ein Lehrstück darüber, wie auch Verfassungen dem Zeitgeist unterworfen sind. Ein Gastbeitrag.
Auch gut ein Jahr nachdem es ergangen ist, wirkt das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Verbot der geschäftsmäßigen Sterbehilfe als Stachel und anhaltende Irritation, und zwar sowohl dann, wenn man sich dadurch – wie der frühere Bundestagspräsident Wolfgang Thierse in einem Leserbrief an diese Zeitung – in seinen ethischen Grundfesten erschüttert sieht, als auch dann, wenn man es – wie der Verfasser dieses Textes – in seinem sachlichen Kern, der Begründung eines Rechts auf selbstbestimmtes Sterben, in der Sache für richtig und geboten hält.
Die Irritation resultiert vordergründig aus dem Inhalt der Entscheidung, mit der das Gericht zugleich das Tor zur in Deutschland lange illegalisierten aktiven Sterbehilfe weit aufgestoßen hat; bis heute hat man sich ja nicht darauf verständigen können, wie man hier künftig die notwendigen Begrenzungen einzieht und welche dies sein müssten. Aber dahinter tauchen einige weitere und tiefere Fragen auf, die über den konkreten Anlass hinausweisen und dem Fall etwas Exemplarisches geben: die Frage etwa, was Verfassungen (oder Verfassungsrechtsprechung) überhaupt für eine Gesellschaft bedeuten, die Frage, inwieweit sie eine Gesellschaft prägen und formen oder ob und inwieweit sie selbst von der Gesellschaft geprägt und geformt werde, zuletzt die Frage, was eine Gesellschaft aus ihrer Verfassung über sich selbst lernen kann. Hier dürften die eigentlichen Irritationen liegen, die die Entscheidung ausgelöst hat; sehen wir uns die wichtigsten davon der Reihe nach an.
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