In Bewegung geraten
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Voraussichtlich wird sich der Trend zur Entkirchlichung in Deutschland weiterhin fortsetzen, doch es gibt noch weitere religiöse Diskussionen. Bild: EPA
Die religionspolitische Ordnung unseres Landes wird auf breiter Front neu verhandelt. Dabei hat die Europäisierung des Religionsrechts noch nicht einmal richtig begonnen.
Die heutige religionspolitische Ordnung scheint in einem Zwischenreich des „nicht mehr“ und „noch nicht“ gefangen. Soziale und kulturelle Grundlagen des religionspolitischen Comments der alten Bundesrepublik erodieren. Was stattdessen kommt, zeichnet sich bislang nur schemenhaft ab. Diagnostizieren kann man schon heute die wirkmächtigen Tiefenströmungen, die unter der glatten Oberfläche eines seit siebzig Jahren unveränderten Verfassungstextes ihre Kraft entfalten: Die Organisations- und Finanzkraft der beiden großen Kirchen schwindet infolge eines stetigen Verlustes an Mitgliedern. Die seit einem Jahr anhaltende Pandemie beschleunigt diese Entwicklung. Ähnlich dynamisierend wirkt eine kirchliche Haltung, die sich der Aneignung kultureller Modernisierungsprozesse gänzlich verweigert: Lehrelemente der römisch-katholischen Kirche wie der Ausschluss der Frauen vom Weihesakrament oder das Verbot einer Segnung gleichgeschlechtlicher Paare werden von breiten Teilen der Bevölkerung – einschließlich der eigenen Mitglieder – inzwischen für frauen- und homosexuellenfeindlich gehalten. Gravierendes kirchliches Missmanagement kommt hinzu, man denke nur zuletzt an den teils bewusst Täter schützenden, teils tapsig-unbeholfenen Umgang der Erzdiözese Köln mit dem Missbrauchsthema. Für solche Fehlleistungen werden alle Religionsgemeinschaften in Mithaftung genommen.
Aller Voraussicht nach wird sich der Trend zur Entkirchlichung in Deutschland auf religionskultureller und institutioneller Ebene gleich einer Naturgewalt in den kommenden Jahrzehnten fortsetzen. Ihm konnten weder der historisch einmalige Professionalisierungsgrad kirchlicher Arbeit noch die Mobilisierung erheblicher Finanzmittel in den zurückliegenden Jahrzehnten beikommen. Die auch mit dem schillernden Begriff der Säkularisierung bezeichneten Prozesse führen freilich nicht dazu, dass eine in sich kohärente, säkularistische Weltanschauung nun kulturelle Dominanz erlangt. Die Traditionsabbrüche wirken insgesamt diffus. Der organisierte Säkularismus erhält mediale Aufmerksamkeit, aber er verzeichnet keinen relevanten Zuwachs an Mitgliedern.
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