Islamismus und Gesellschaft : Freiheit mit Maß
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Ist „der Westen“ in Gefahr, vom Islamismus unterworfen zu werden - oder gar im Begriff, sich ihm selbst zu unterwerfen? Eine Kulturkritik
Die Freiheit in der modernen liberalen Demokratie hatte schon immer starke und ernstzunehmende Gegner. Von kommunistischer Seite wurde ihr vorgeworfen, sie sei ein Vorrecht, das allein den Besitzenden zugutekomme. Von nationalsozialistischer Seite lautete der Vorwurf, sie erlaube das Ausleben des individuellen Egoismus auf Kosten der Volksgemeinschaft. Und nun, nachdem die beiden genannten Ideologien abgewirtschaftet haben, ist die Freiheit ins Visier eines neuen Gegners mit weltumspannendem Anspruch geraten: in das des Islamismus. Dieser drängt sich überall auf der Welt mit Terrorakten in das öffentliche Bewusstsein und zwingt vor allem den als Kollektivsingular behandelten „Westen“, sich ihm gegenüber zu positionieren.
Eine solche Positionierung findet sich beispielsweise in „Unterwerfung“, dem jüngsten Roman des französischen Schriftstellers Michel Houllebecq. Das Buch, das just zur Zeit des Terroranschlags auf die Redaktion der Satirezeitschrift „Charlie Hebdo“ in Paris erschien, wurde umgehend von vielen als islamfeindlich charakterisiert. Houellebecq bestreitet das. In der Tat ist sein Buch sehr viel mehr eine Kritik der französischen Gesellschaft als eine Kritik des Islams. Dass in seinem Roman der charismatische islamische Führer politisch reüssieren kann, dass Frankreich sich, ohne Widerstand zu leisten, zum Gottesstaat machen lässt, ist Ausdruck der Wehrlosigkeit einer Gesellschaft, die nicht mehr an ihre eigenen Werte glaubt: Die Eliten sind politisch desinteressiert, die Parteien zerstritten und nur auf ihr eigenes Wohl bedacht, die Bevölkerung ist mehrheitlich apathisch und sehr schnell darum bemüht, sich mit den neuen, nunmehr islamischen Verhältnissen zu arrangieren. Es ist das Bild einer müde gewordenen, einer dekadenten Gesellschaft, das Houllebecq hier zeichnet. Im Grunde gibt er damit denen recht, die den Westen auf dem absteigenden Ast sehen - und im Islam eine Gegenbewegung von jugendlicher Kraft und guter Aussicht auf den Sieg über die westliche Dekadenz.
Sicherlich will sich Houllebecq mit seinem Buch nicht auf die Seite der Verächter der westlichen Demokratien stellen. Er will „dem Westen“, für den Frankreich stellvertretend steht, wohl sehr viel eher den Spiegel vorhalten, ihm zeigen, wo seine Schwächen liegen - freilich ohne einen Ausweg weisen zu können. Letztlich ist Houllebecq Teil der Misere, die er beschreibt. Die trostlose Existenz seines Protagonisten, eines Literaturprofessors, der seine innere Leere durch das Ausleben sexueller Obsessionen zu übertönen versucht, scheint zu intensiv nachempfunden, um dem Autor existentiell gänzlich fremd sein zu können. Houllebecqs Zynismus schärft den Blick für die Krise, ist aber selbst ihr Symptom oder gar eine ihrer Ursachen.
Nun scheint die Mobilisierung nach der Ermordung der Karikaturisten von „Charlie Hebdo“ ein gutes Gegenargument gegen die vermeintliche Wehrlosigkeit „des Westens“ zu sein. Haben nicht Millionen Menschen in vielen Ländern Europas gezeigt, dass sie bereit sind, für die demokratischen Werte zu kämpfen? Sind sie nicht für die Freiheit auf die Straße gegangen, die zu nehmen eines der Hauptanliegen des islamistischen Terrors ist?