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Flüchtlinge : Asyl in Europa - wenn, wie, wann, wo?

  • -Aktualisiert am

Flüchtlinge, die durch Ungarn kommen, wollen in den seltensten Fällen in dem Land blieben. Bild: AFP

Das deutsche wie das europäische Flüchtlingsrecht war weitgehend „Schönwetterrecht“. Jetzt muss geklärt werden, wer Anspruch auf Aufnahme in der EU hat und wer mit Rückführung rechnen muss. Ein Gastbeitrag.

          13 Min.

          Die Manifestation deutscher Willkommenskultur für spontan einreisende Flüchtlinge weicht schrittweise einer nüchternen Bestandsaufnahme. Begriffe wie Aufnahmefähigkeit oder Identität, die schon auf der Auswahlliste für das Unwort des Jahres standen, tauchen plötzlich wieder im Sprachgebrauch auf. Wie viele Drittstaatsangehörige, die als Flüchtlinge irregulär einreisen und ihr Lebensglück in Deutschland oder anderen EU-Staaten suchen, sind in den kommenden Jahren zu erwarten? Wie viele davon lassen sich in die Gesellschaft, in den Arbeitsmarkt, in die Sozialsysteme integrieren? Und welche Konflikte sind zu erwarten, wenn sich die großen Hoffnungen der Flüchtlinge nicht erfüllen? Die auf Transparenten erhobene Forderung „We want to be transferred to apartments“ wirft schon jetzt ein Schlaglicht auf die Kluft zwischen Erwartungen und Realität.

          Die politische Antwort auf diese Fragen hat sich deutlich von „Wir schaffen es“ auf „Die Europäische Union schafft es“ verlagert. Tatsächlich ist die Lastenverteilung in der EU seit mehreren Jahren höchst ungleich. Im Jahr 2014 entfielen von etwa 627 000 Asylbewerbern, die in der EU registriert wurden, auf Deutschland 203 000, auf Schweden 81 000, auf Italien 65 000, auf Spanien 5600, auf Slowenien 385. In Deutschland werden in diesem Jahr mindestens fünfmal so viele Asylbewerber erwartet wie 2014. Die meisten davon sind irregulär und unregistriert innerhalb der EU in die Wunschländer weitergereist, an erster Stelle nach Deutschland. An der unterschiedlichen Attraktivität der Mitgliedstaaten für die Realisierung besserer Lebenschancen wird sich in absehbarer Zeit nichts Wesentliches ändern.

          Der Verfasser lehrte öffentliches Recht, Europa- und Völkerrecht an der Universität Konstanz und leitet das dortige „Forschungszentrum Ausländer- und Asylrecht“.
          Der Verfasser lehrte öffentliches Recht, Europa- und Völkerrecht an der Universität Konstanz und leitet das dortige „Forschungszentrum Ausländer- und Asylrecht“. : Bild: Universität Konstanz

          Das europäische Aufnahmesystem ist in den Staaten mit einer EU-Außengrenze weitgehend zusammengebrochen. Flüchtlinge verweigern die nach europäischem Recht zwingend notwendige Registrierung, einige Mitgliedstaaten betreiben angesichts der großen Zahlen von vornherein eine Politik der Fortschaffung in diejenigen EU-Länder, in denen sich Asylbewerber niederlassen wollen. Werden eine Entlastung der Staaten mit einer EU-Außengrenze, einheitlichere Aufnahmemaßstäbe, größere Solidarität und Verteilung der Flüchtlinge auf alle Mitgliedstaaten Abhilfe schaffen können?

          Vordergründig erscheint alles ganz einfach. Würden die etwa 1,5 Millionen Flüchtlinge, die voraussichtlich bis Ende des Jahres in der EU angekommen sein werden, nach Bevölkerungszahl, Wirtschaftskraft und Raumkapazität auf die 28 EU-Staaten verteilt, wäre - so die Annahme - kein Mitgliedsstaat überfordert. Einfache Lösungen hochkomplexer Fragestellungen müssen nicht immer falsch sein. Aber es sollte zur Vorsicht gemahnen, dass die EU schon einmal mit einem Verteilungsansatz gescheitert ist. Im Jahr 2001 wurde eine Richtlinie für den Fall eines Massenzustroms von Vertriebenen erlassen. Die Migranten sollten in einem zweistufigen Verfahren vorübergehenden Schutz erhalten, nämlich durch Ratsbeschluss und darauf basierende Übernahmeerklärungen der Mitgliedstaaten. Die Staaten sollten die Aufnahmekapazität selbst bestimmen und einen finanziellen Ausgleich erhalten. Damit hatte die Richtlinie exakt jene Situation im Auge, die nun eingetreten ist - die drohende Funktionsunfähigkeit des Asylsystems infolge Überlastung. Angewendet wurde die Richtlinie nie.

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