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Bundeswehr : Über Kameradschaft in der Bundeswehr – und ihre Erosion

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In der öffentlichen Debatte dominiert ein fast schon naives Bild davon, wie Kameradschaftsnormen entstehen. Man scheint zu glauben, dass sich Kameradschaft allein schon deswegen ausbildet, weil im Soldatengesetz steht, dass der „Zusammenhalt der Bundeswehr wesentlich auf Kameradschaft beruht“ und alle Soldaten verpflichtet sind, die „Ehre und Rechte des Kameraden zu achten und ihm in Not und Gefahr beizustehen“. Kameradschaft wird hier als eine formale Verhaltenserwartung formuliert, die verlangt, sich auch in Extremsituationen – „in Not und Gefahr“ – für Kameraden einzusetzen.

Aber es sind nicht die formalen Vorgaben im Soldatengesetz oder die Indoktrinierung einer Kameradschaftsideologie durch oberste Heeres-, Luftwaffen- oder Marineführungen, die Kameradschaftsnormen entstehen lassen. Vielmehr bilden sich diese im Schatten der offiziellen formalen Organisation aus – durch das autonome, selbstinitiierte Handeln der Soldatinnen und Soldaten. Zugleich werden Kameradschaftserwartungen in Armeen auch mit Mitteln durchgesetzt, von denen die Führung gar nicht so genau Kenntnis haben will. Sicherlich – es gibt eine friedfertige Variante der Ausbildung von Kameradschaftsnormen. In der Regel lernen Soldaten schnell, dass man sich Kameraden gegenüber loyal verhält, dass man sie nicht öffentlich bloßstellt, dass man sich gegenseitig hilft, wenn ein Kamerad mit einer Aufgabe überfordert ist, ein Fehler kaschiert werden muss oder kurzfristiges Einspringen erforderlich ist. Im besten Fall bilden sich dabei Vertrauensbeziehungen, die dazu führen, dass man sich gegenseitig unterstützt und weiß, dass man sich auch in Extremsituationen aufeinander verlassen kann.

Wenn jemand solche informalen Verhaltenserwartungen nicht akzeptiert, wird in Armeen zu negativen informalen Sanktionen gegriffen. Diese reichen von abschätzigen Bemerkungen oder Beschimpfungen über die soziale Isolierung des Kameraden und die Verweigerung von Hilfeleistungen bis zu körperlichen Angriffen und drastischen Erniedrigungen. Die Sanktionen dienen in den meisten Fällen nicht dem Ausschluss aus dem Kameradenkreis, sondern im Gegenteil der Durchsetzung informaler Normen. Soldaten oder Polizisten, die solche häufig offiziell verbotenen Bestrafungen nicht melden, sondern über sich ergehen lassen, werden dann auch konsequenterweise mit dem Verbleib im Kameradenkreis „belohnt“.

Prozesse, mit denen informale Normen durchgesetzt werden, gibt es in jeder Organisation. Bei Armeen nehmen die Prozesse allerdings eine gewaltbetontere Form an. Das ist wenig überraschend: Es liegt nahe, dass in einer Organisation, deren Hauptaufgabe die Gewaltanwendung ist und die zur Durchsetzung formaler Verhaltenserwartungen notfalls auf Gewaltspezialisten in Form von Feldjägern zurückgreift, die Durchsetzung informaler Normen in körperbetonterer Weise stattfindet als in Computerfirmen, Rechtsanwaltskanzleien oder Stadtverwaltungen.

Für die Herausbildung dieser Kameradschaftsnormen ist es nicht – wie man in der frühen Militärforschung noch geglaubt hat – nötig, dass die Organisationsmitglieder durch gute Kenntnis der anderen Beteiligten persönliches Vertrauen aufgebaut haben. Vielmehr bilden sich anonymisierte Kameradschaftserwartungen auf der Ebene von Bataillonen, Divisionen oder ganzen Armeen aus. Gegenseitige Unterstützung gerade in der Darstellung nach außen sei, so der Soziologe Niklas Luhmann, ein „Grundgesetz interner Kooperation“ in jeder Organisation. Sie setzt keine persönliche Bekanntschaft voraus.

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