Gastbeitrag : Raus aus der Berliner Blase!
- -Aktualisiert am
Außenminister Sigmar Gabriel (r, SPD) verlässt zusammen mit Thomas Paulsen, Vorstand der Körber-Stiftung, nach seiner Rede das Berliner Forum Außenpolitik in Berlin Bild: dpa
Deutschland muss sich international stärker engagieren. Nur die Deutschen wollen nicht. Erklär-Mantras helfen wenig. In ihren Komfortzonen werden die Eliten daran wenig ändern.
Ein Land, dessen Wohlstand so sehr von einer regelbasierten Weltordnung abhängt wie Deutschland, muss diese Regeln aktiv mitgestalten. Laut der jüngsten Umfrage der Körber-Stiftung finden 52 Prozent der Deutschen, ihr Land sollte sich außenpolitisch eher zurückhalten. Diese Umfrageergebnisse seien ein Problem, so Außenminister Gabriel bei einer Rede in Berlin. Sie entsprächen „so gar nicht den Erwartungen, die von außerhalb an Deutschland herangetragen werden.“ Gabriel appellierte deswegen an die außenpolitische Elite aus der Politik, Denkfabriken, Wissenschaft und Medien: „Wir müssen unseren Bürgerinnen und Bürgern […] mehr erklären, wie wir die Welt sehen und was auf uns zukommt! Dass wir uns nicht raushalten können, dass wir mitgestalten müssen, wenn wir nicht gestaltet werden wollen.“
Gabriel hat Recht. Die Lücke zwischen der außenpolitischen Elite und der breiteren Gesellschaft ist groß. Sie wird bei der gegenwärtigen Weltlage und mit steigender Verantwortungsübernahme Deutschlands noch weiter wachsen. Mit einem einfachen „Erklären“, wie es der Außenminister darstellt, ist es aber nicht getan. Erstens, weil es auf die meisten außenpolitischen Fragen nicht nur eine Antwort gibt, die einfach nur vermittelt werden müsste. Zweitens, weil kein Bürger Lust auf Belehrung hat. Echtes Vertrauen der Bevölkerung gewinnen Politik und Experten nur durch wirklichen Streit, mehr persönlichen Dialog und Formate, die wirkliche Debatten zulassen. Dazu reicht es nicht, Symboldebatten um die Höhe des Verteidigungsetats zu führen – wie es etwa Sigmar Gabriel im letzten Wahlkampf tat.
Sigmar Gabriel : Deutschlands Außenpolitik erneuern
Anfangen könnten wir mit echten Kontroversen zu den Werten und Interessen, die deutsche Außenpolitik leiten sollten. Denn während große Teile der deutschen Außenpolitik von Politik und Experten als alternativlos dargestellt werden, sind sich Außenpolitiker im Bundestag, die Denkfabriken, Wissenschaftlerinnen und Journalisten bei vielen Abwägungsentscheidungen gar nicht so einig wie es oft erscheint. Welche Menschenrechtsverletzungen lassen wir zum Beispiel unkommentiert, um damit andere strategischen Ziele der deutschen Außenpolitik nicht zu gefährden? Hier sollten sich die Experten viel mehr öffentlich darüber streiten, wo es gilt, Abstriche zu machen und wo nicht.
Eine solche Kontroverse zu grundlegenden Werten und Interessen bietet auch interessierten Bürger die Möglichkeit, sich stärker in die außenpolitische Debatte einzubringen: Denn wir alle haben ein Bauchgefühl, was wir für gerecht und fair halten, eine Vorstellung welche Werte und Interessen wir für welchen Preis vertreten. Um solche Kontroversen mit einer breiteren Öffentlichkeit zu führen, müssten außenpolitische Experten und Wissenschaftler aber ihren oft schwer verständlichen Jargon durch klare und direkte Sprache ersetzen. Nur weil Außenpolitik komplex ist, muss sie nicht unverständlich sein.
Weiterhin müssen außenpolitische Experten raus aus ihrer Berliner Blase. In der genannten Umfrage der Körber-Stiftung gaben 69 Prozent der Deutschen ein „starkes“ oder „sehr starkes“ Interesse an Außenpolitik an. Auch das Auswärtige Amt erlebt bei den eigenen Dialog-Aktivitäten in ganz Deutschland eine steigende Nachfrage nach Diskussionen zu Außenpolitik – gerade außerhalb Berlin und Bonns und insbesondere zu Themen, die Außen- und Innenpolitik verbinden. Noch nie waren das so viele: Flucht, Migration, Terrorismus, Klimawandel und die Zukunft Europas um nur ein paar zu nennen.