Der Kandidat Gauck : Das Ende der Kür
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Der Kalender ist leer geräumt worden
Gauck weiß, dass es mit der Freiheit der Rede vorbei ist. Einen Auftritt in Polen, in Lodz, hatte es noch gegeben. Ansonsten ist, wie das im Deutsch der Bürokraten wohl heißt, der Kalender „leer geräumt worden“. Es ist vorbei mit der Kür. Von nun an ist die Pflicht das Maß aller Dinge. Schon spricht der freigeistige Redner, die Verantwortung vor Augen, von einem Verlust an Lebensqualität. Er tut es halb im Scherz und halb im Ernst. Er genießt die Öffentlichkeit, hat aber die Kehrseite - erstmals seit langem - erfahren. Alte Wegbegleiter aus der DDR-Bürgerrechtsbewegung werfen ihm vor, sich erst dann der Bewegung angeschlossen zu haben, als es mit der DDR schon fast vorbei gewesen sei. Er sei schon damals ein Konservativer gewesen. „Linkes denken war Gauck schon immer suspekt, die DDR hasste er“, hat Hans-Joachim Tschiche, oppositioneller Pfarrer aus Magdeburg jetzt - vorwurfsvoll - über Gauck geschrieben. Differenzen über den Weg zur Vereinigung Deutschlands scheinen der Hintergrund zu sein.
Dass Gauck in der „Tageszeitung“ (taz) als „reaktionärer Stinkstiefel“ tituliert worden war, scheint ihn getroffen zu haben. Dass Jürgen Trittin, Vorsitzender der Grünen-Fraktion, dann ebenso deftig von „Schweinejournalismus“ spracht, hat Gauck in seinem positiven Urteil über Trittin bestärkt. Die Verteidigung gegen die Vorwürfe habe ihm gutgetan, sagte Gauck bei seinem Besuch in der Grünen-Fraktion. Viele seiner Vorgänger waren empfindlich gegenüber öffentlicher Kritik. Uralte Zeitungskommentare konnten sie sich merken. Auch Gauck wirkt nicht abgebrüht, wie es die Kämpfer aus den parlamentarischen Schlachten geworden sind.
Von nun an wird jedes Wort auf die Goldwaage gelegt, was möglicherweise Gaucks Naturell der Unbefangenheit zuwiderläuft. Veränderungen an sich nimmt er vorweg. „So werdet Ihr mich lange nicht mehr hören“, wurde er bei den Grünen vernommen, die - was glaubhaft wirkt - für sich in Anspruch nehmen, bei ihnen habe sich Gauck am wohlsten, weil heimisch gefühlt. Mit manchen seiner politischen Aussagen ist das nicht zu erklären. Sie widersprechen geradezu grünem Gründungsmythos.
Beispiel: Friedensbewegung der frühen achtziger Jahre. „Zu jener Zeit war die Begeisterung für den Frieden groß und ohne Einschränkung. Und so dachten viele meiner protestantischen Freunde im Westen, wenn man sich entfeinde, wäre das eine wirksame Aktion gegen Feindschaft und Krieg. Unsere Evangelischen Akademien und Studentengemeinden waren eben nicht immer der besondere Hort des Heiligen Geistes, sie waren und sind manchmal auch Spielwiesen des Zeitgeistes“, hat er geschrieben. Es sagt viel über die Entwicklung der Grünen aus, dass sie nun zum zweiten Male Gauck zum Bundespräsidenten wählen wollen.
Wirbel in der links-alternativen Szene
Wir sind jetzt in unerwarteter Weise auf der Erfolgsstraße“, sagte Gauck den Grünen - die Kampagne von 2010 im Blick, die trotz aller medialen Erfolge in einer Wahlniederlage gegen Christian Wulff geendet hatte. Zurückliegende Bemerkungen über Thilo Sarrazin („mutig“) oder die Occupy-Bewegung („albern“) aber hatten für Wirbel in der links-alternativen Szene und mithin auch bei den Grünen gesorgt. Gauck also hatte sich bei seinen eigentlichen „Entdeckern“ auch zu rechtfertigen. Er distanzierte sich und suchte sich zu entschuldigen. Statt „mutig“ hätte er eher „frech“ sagen müssen, sagte er über Sarrazin. Er teile dessen Thesen ganz und gar nicht. Er sei wohl auch zu unbefangen in die Debatte über die Integrationspolitik gegangen, führte er aus. Die Fachleute der Grünen auf vielerlei Gebieten sollen nicht einen Vorwurf ausgelassen haben - bis hin zum Datenschutz. Zwei Ankündigungen des Kandidaten wurden vernommen. „Debatten müssen geführt werden.“ Und: „Ich bin bereit zu lernen.“