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Datensammler : Ein totalitäres System

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Algorithmen werden ständig optimiert. Ob von Smartphones oder Laptops - die Datenströme versiegen nie Bild: AFP

Algorithmen beherrschen unseren Alltag. Ob beim Einkauf oder an der Börse: Die digitale Revolution zwingt uns, ständig unseren eigenen Vorteil zu maximieren. Gibt es noch einen Ausweg?

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          Wieder hat die digitale Gesellschaft eine neue Spezies erschaffen, die uns Arbeit abnehmen soll: Agenten. Ein Designmuster für Algorithmen, die Investmententscheidungen für uns treffen oder den städtischen Lieferverkehr steuern: Agenten finden für alles die beste, effizienteste Lösung. Sie sind Optimierer. Und sie sind besser als wir.

          In der Investmentindustrie zum Beispiel sind Algorithmen oder „Algos“ gerade dabei, den Beruf des Händlers überflüssig zu machen. Denn Algos treffen auch die besseren Investmententscheidungen. Die Händler dürfen zwar bleiben - aber nur noch als Algo-Babysitter.

          Algos sind unermüdliche Datensammler. Sie verarbeiten Marktdaten und setzen sie zu einer Lageanalyse zusammen. Das Ergebnis legen sie dem Entscheidungsträger vor. Und das ist eben nicht mehr der Händler, sondern - ein Algo. Der berechnet dann die optimale Zusammensetzung eines Portfolios. Zum Beispiel im Währungshandel: 5,3 Millionen Eurodollar verkaufen, 2,67 Millionen Pfund Sterling kaufen. Kontrollzyklus: jede Minute. 24 Stunden täglich, fünf Tage in der Woche. Der Algorithmus berechnet und führt die Order aus. Dem Händler bleibt die Aufgabe, die Maschine zu überwachen und zu bedienen.

          Ein Agent - eine Architektur zur Anwendung von Algorithmen - lässt sich wie ein Haustier trainieren. Mit Belohnungen, wenn er sein Ziel erreicht, und einer Strafe, wenn er sein Ziel verfehlt. Agenten können fast beliebig intelligent werden. Oder sagen wir besser: beliebig einseitig begabt. Und glauben Sie es ruhig: Es ist fesselnd, mitzuverfolgen, wie ein Agent lernt, optimale Investmententscheidungen zu treffen. Man kann ihn problemlos klonen und so trainieren, dass er jedes gängige Investmentinstrument beherrscht.

          Aber bei aller Faszination gibt es auch Grund zur Sorge: Längst breiten Softwareagenten sich in unserem Alltag aus, erforschen unser Denken und Tun. In Höchstgeschwindigkeit rechnen uns Amazon, Google und Twitter vor, was wir wollen, tun oder lassen sollen. Es ist ja auch überaus praktisch, wenn die Maschine für uns denkt. Wir wissen ja: Der Optimierer findet die beste Lösung. Wir lehnen uns zufrieden zurück.

          Dabei sind wir nicht nur berechenbar, sondern steuerbar geworden. Der Mensch wird zum Erfüllungsgehilfen optimierender Maschinen. Etwa in der urbanen Logistik: Um die Anzahl von Lkws zu reduzieren, sollen an den Grenzen französischer Großstädte Logistikzentren angesiedelt werden, die mit Hilfe von Agenten die Steuerung des Lieferverkehrs übernehmen. Hierzu werden die Lkws mit Tablet-PCs ausgerüstet, so dass ihr Standort über GPS jederzeit metergenau bestimmt werden kann. Zusätzlich werden auf jedem Tablet-PC Agenten installiert, die „ihren“ Lkw repräsentieren und mit einem Optimierer im Logistikzentrum kommunizieren.

          In einem Auktionsverfahren bieten die Agenten dem Optimierer die Auslieferung von Päckchen an, abhängig von ihrer Entfernung zum Empfänger oder Warenlager, den Lieferkosten, der Staulage und der aktuellen Beladung ihres Lkws. Das ökonomischste Angebot bekommt den Zuschlag. Der Fahrer fährt nur noch die Routen ab, die ihm der Agent vorrechnet - und wird damit selbst zum Teil der Maschine. Ohne Maschine geht nichts mehr.

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