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CSU-Parteitag : Die neue Sprache Angela Merkels

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„Die multikulturelle Gesellschaft ist grandios gescheitert.”

„Die multikulturelle Gesellschaft ist grandios gescheitert.” Bild: REUTERS

In ihrer Rede auf dem CSU-Parteitag ließ Angela Merkel die Delegierten an ihren Ansichten über deutsche Interessen und Identität teilhaben.

          3 Min.

          Die Vorgänge um Host Seehofer haben auf dem CSU-Parteitag am Wochenende alle Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Das gilt auch für die dort gehaltenen Reden. An ihnen interessierte das, was sie zum Fall Seehofer sagten oder ausließen.

          Das wird der Rede, die die CDU-Vorsitzende Merkel hielt, allerdings nicht gerecht. Sie bekannte sich zu einem Bezugs- und Koordinatensystem, das in ihren Reden bislang nicht zu entdecken war: zu dem des deutschen Interesses. Es müsse, so die CDU-Vorsitzende in München, von nun an das entscheidende Kriterium deutscher Politik sein.

          Das „deutsche Interesse“

          Das ist als Aussage nicht nur für Merkel neu, sondern für die CDU insgesamt. Ihr Vorvorgänger als Parteivorsitzender, Helmut Kohl, beließ es in der Regel bei der Feststellung, die Pfalz sei seine Heimat, Deutschland sein Vaterland, Europa aber sei "unsere Zukunft", womit er klarstellte, daß "Europa" der entscheidende Faktor für seine Politik war. Dem hat Merkel in München zwar nicht widersprochen. Doch hat sie die Europa-Politik neu legitimiert: Die Weiterentwicklung Euopas sei deshalb wichtig, weil sie im deutschen Interesse liege. Weil das so sei und weil eine Reduzierung der EU auf eine Freihandelszone verhindert werden müsse, könne die Türkei nicht EU-Mitglied werden, argumentierte sie. Deshalb müsse sich die Türkei mit einer privilegierten Partnerschaft begnügen.

          Neu ist die Einordnung dieser Position in das von Merkel skizzierte politische Koordinatensystem, neu ist, daß die Entwicklung der EU nicht als Selbstzweck gesehen wird, sondern sich - für Merkel in München zumindest - aus dem rechtfertigt, was sie als "deutsches Interesse" bewertet. Ihre Argumentation entwickelte sie aus der Beschreibung der Probleme, die den Deutschen die größten Sorgen bereiten, den wirtschaftlichen. "Wir", so argumentierte sie, müßten uns auf unsere Stärken besinnen und die Probleme lösen, die der Entfaltung unserer Fähigkeiten im Wege stünden, von der Reform des Arbeitsrechts bis hin zur Gesundheitsreform. Das ist zwar eine Binsenwahrheit; neu aber ist auch hier ihre Bewertung als Element der Wahrnehmung deutscher Interessen, ihre Einordnung in ein Denken, das nicht nur den einzelnen, sondern die Nation zum Gegenstand hat.

          Merkels neue Unbefangenheit

          Neu waren vor allem die bekennenden Töne, mit denen Merkel dieses Thema variierte: "Wir arbeiten für deutsche Interessen, für unsere Arbeitnehmer in unserem Land", sagte sie und fügte hinzu: "Made in Germany muß wieder zu unserem Markenzeichen werden." Sie würdigte "die patriotischen Arbeitgeber", die darauf setzten, daß es in Deutschland "wieder besser" werde.

          Neue Töne schlug sie auch an, als sie sich an den kroatischen Ministerpräsidenten Sanader wandte, der kurz vor ihr sein Grußwort an die CSU gerichtet und seine Erwartungen und Pläne in bezug auf Europa skizziert hatte. Statt sich - wie sonst bei der CDU selbstverständlich - darauf zu beschränken, Hilfsbereitschaft und Verständnis für die Interessen anderer Staaten zu bekunden, gab sie ihr Unbehagen darüber zu erkennen, wie die neuen EU-Mitglieder durch niedrige Steuersätze und niedrige Löhne auf Kosten anderer ihren Vorteil suchten. Mit einer neuen Unbefangenheit bekannte sich Merkel dazu, daß ihr das deutsche Hemd näher ist, als der europäische Rock; eine für deutsche Politiker ganz ungewöhnlich gewordene Sicht der Dinge. Welches Echo sie damit bei CDU-Europa-Politikern wie Pflüger, Schäuble oder Hinze bewirkt, bleibt abzuwarten.

          Die neu entdeckte deutsche Idendität

          Ebenso neu und bemerkenswert war ihr Satz: "Die multikulturelle Gesellschaft ist grandios gescheitert." Das ist eine Einsicht, die die CDU-Vorsitzende der Öffentlichkeit bislang vorenthalten hatte. Noch vor zwei Wochen ließ sie die Gelegenheit, das aus gegebenem Anlaß klarzustellen, verstreichen. Als die Vorsitzende der Grünen, Roth, am 28. Oktober in der außenpolitischen Debatte des Bundestages in forderndem Ton die Feststellung traf, es gehe darum, "in welchem Deutschland wir leben" und ob wir unsere multikulturelle Realität akzeptieren wollten, da schwieg die CDU-Vorsitzende zu diesem Thema; ebenso wie sie es getan hatte, als ihr erster Stellvertreter im Fraktionsvorsitz, der CSU-Landesgruppenvorsitzende Glos, wegen der klaren Worte angefeindet worden war, mit denen er darauf hingewiesen hatte, daß der EU-Beitritt der Türkei zu einem solchen zusätzlichen Zustrom von Türken nach Deutschland führen werde, daß die Identität Deutschlands verlorengehen werde.

          Es paßt in das Bild der neu entdeckten deutschen Idendität der CDU-Vorsitzenden, daß sie in ihrer Münchner Rede die Absicht von Bundeskanzler Schröder, auf den Nationalfeiertag am 3. Oktober zu verzichten, kommentierte, indem sie daran erinnerte, daß Schröder noch beim Fall der Mauer die Wiedervereinigung schroff ebgelehnt hatte. Merkel endete, in dem sie eine schöne Vision beschwor. Sie wolle, "daß dieses Deutschland ein starkes ist, ein Deutschland, das Europa nicht ,runter'-, sondern vorwärtsbringt, ein Land von dem man sagt, da komm' ich gern hin, das sind prima Leute, freundlich, tolerant und fröhlich. Dafür lohnt es sich zu arbeiten."

          Das sind neue Bilder in der Sprache der CDU-Vorsitzenden. Und nichts ist selbstverständlicher als die Frage, weshalb Merkel sie in München vorgebracht hat. Dort, auf dem Parteitag, wo die Profis unter sich waren, beschäftigten sich - Seehofer zum Trotz - etliche mit dieser Frage. Ob das neue Einsicht, gewonnene Überzeugung sei, oder nur Taktik, fragte sich dieser und jener. "Die Merkel ist lernfähig", meinte einer mit verhaltener Zustimmung, und ein anderer fügte hinzu: "Ja, lernfähig und grundsatzlos." "Wahrscheinlich ging es ihr um Beifall bei den Delegierten", mutmaßte ein anderer. "Wenn's mehr ist, dann muß sie das auf dem Parteitag in Düsseldorf zu erkennen geben." Bis dahin hat Merkel noch zwei Wochen Zeit, um zu überlegen, wie ernst es ihr mit ihren neuen Einsichten ist.

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