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Chinas Bauern : Endlich Geld für die Stiefkinder der Reform

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Auf dem Bauernmarkt von Haiyuan im Nordwesten Chinas

Auf dem Bauernmarkt von Haiyuan im Nordwesten Chinas Bild: dpa/dpaweb

Sie waren die Stiefkinder der Revolution, und sie wurden auch die Stiefkinder der Wirtschaftsreform. Jetzt will Chinas Führung den Bauern des Landes endlich helfen - aus Angst vor Unruhen in den ländlichen Gebieten.

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          Chinas Bauern waren die Stiefkinder der Revolution, und sie wurden auch die Stiefkinder der Wirtschaftsreform. Jahrzehntelang hat in der Volksrepublik die Landbevölkerung die Städter und die Industrie unterstützt. Jetzt soll das Verhältnis endlich umgekehrt werden. Nachdem schon die Kommunistische Partei in ihrem „Dokument Nr. 1“, der wichtigsten Direktive des neuen Jahres, die Bauern für besonders wichtig erklärt hatte, steht es jetzt auch im neuen Fünfjahresplan: Der Staat, die Städte und die Industrie sollen den Bauern und der Landwirtschaft helfen.

          Zu Recht bezeichnete Chinas Ministerpräsident Wen Jiabao vor dem Volkskongreß am Sonntag die Abschaffung der Landwirtschaftssteuer als eine Änderung von historischer Bedeutung. 2600 Jahre lang gab es diese Steuer. Daß auch die Kommunistische Partei sie beibehielt, war eine Ungerechtigkeit der Bauernführer gegenüber ihrer „Massenbasis“. Ihre Abschaffung folgt später Einsicht und politischem Kalkül. Der Schritt trifft bei lokalen Funktionären nicht auf Gegenliebe. Entlastet werden etwa 300 Millionen Bauern in China, die noch ganz von der Landwirtschaft leben.

          Das größte Problem: die Diskriminierung

          Jahrzehntelang sind die Bauern nicht nur durch Abgaben gedrückt und zu öffentlichen Arbeiten herangezogen worden. Ihnen wurde die Unterstützung, die sie den Städtern und der Industrialisierung gaben, auch noch mit Diskriminierung gedankt. Während es für städtische Angestellte und Arbeiter zumindest ein rudimentäres Krankenversicherungssystem gibt, müssen die Bauern die Kosten für Arzt und Krankenhaus selbst bezahlen. Während die meisten Städter damit rechnen können, daß sie nach der Pensionierung eine Rente vom Staat bekommen, können die Bauern nur hoffen, daß ihre Kinder sie im Alter unterstützen.

          Städter können zwischen staatlichen und privat betriebenen Schulen auswählen. Auf dem Land dagegen sind die Schulen unterfinanziert, bekommen viele Lehrer dort keinen oder nur einen Hungerlohn. Das Schulgeld für die vom Staat vorgeschriebenen neun Schuljahre müssen die Bauern selbst bezahlen. Sollte es denn doch einmal ein Bauernkind auf die Oberschule schaffen, hat es mit weiterer Diskriminierung zu kämpfen. Denn Bauern müssen bei der Aufnahmeprüfung für die Hochschulen bessere Noten vorweisen als die ohnehin privilegierten Stadtbewohner.

          Immer weniger Ackerland

          Bis zum Jahr 2007, so gab Wen Jiabao bekannt, soll nun endlich der vorgeschriebene Schulbesuch für alle Bauernkinder gebührenfrei sein. Die Wirkung dieser Reform kann kaum unterschätzt werden. Die Ausgaben für das Schulgeld sind mit den Arztkosten die größten Ausgabenposten für die Bauernfamilien. Und da viele es sich nicht leisten können, ihre Kinder zur Schule zu schicken, bleibt der Bildungsstandard auf dem Land erschreckend niedrig. Das wiederum beeinträchtigt die Chancen bei der Suche nach einem Arbeitsplatz außerhalb der Landwirtschaft.

          Die Abschaffung des Schulgelds wird auch deswegen zu einer wichtigen Reform, da die Existenz der Bauern in den vergangenen Jahren auch noch aus einer anderen Richtung bedroht wurde. Gerade das beste Ackerland wird ihnen genommen und zu „Entwicklungszonen“, „Industriezonen“ und Neubaugebieten erklärt. Seit den neunziger Jahren haben nach offiziellen Angaben 40 Millionen Bauern auf diesem Weg ihr Land verloren.

          Der Einkommensunterschied wird immer größer

          An dem Bauboom und der Landerschließung verdienen alle, nur die Bauern nicht. Denn sie haben kein Eigentumsrecht am Boden. Die örtlichen Funktionäre können es beschlagnahmen und verkaufen. Den Bauern steht in einem solchem Fall eine Entschädigung zu. Doch die umfaßt meist nur ein Bruchteil von dem, was Funktionäre und Bauunternehmer an der Landerschließung verdienen. Zudem reicht die einmalige Entschädigungszahlung nicht aus, den Bauern eine neue Existenz aufzubauen. Gleichzeitig wird es für sie immer schwieriger, in den Städten Arbeit zu finden.

          Die forcierte Industrialisierung und Urbanisierung haben dazu geführt, daß der Einkommensunterschied zwischen Land und Stadt immer größer wird. Nach offiziellen Angaben verdient ein Städter im Durchschnitt mehr als dreimal soviel wie ein Bauer. Doch sind in dieser Berechnung die sozialen Leistungen, die die Städter genießen, nicht einbezogen, so daß die wahren Unterschiede noch viel größer sein dürften.

          Nur ein Fünftel der Subventionen kommt an

          Daß Chinas Partei und Regierung sich jetzt den „Aufbau von neuen sozialistischen Dörfern“ aufs Banner schreiben, ist nicht nur einem neuen sozialen Bewußtsein zuzuschreiben. Man fürchtet Unruhen auf dem Land, nachdem es schon seit Jahren häufig Protestaktionen gegeben hatte. Vor allem die ländlichen Kader sollen in die Pflicht genommen werden, mehr für das Wohl der Bauern zu sorgen und Unruhen vorzubeugen. Wirtschaftlich soll die neue ländliche Förderung dazu führen, die Binnennachfrage anzukurbeln und damit Chinas Abhängigkeit vom Export zu vermindern.

          Die Verwirklichung der Beschlüsse verspricht schwierig zu werden. Chinesische Wissenschaftler befürchten, daß die Kader die „neuen Dörfer“ vor allem als Aufforderung zur Errichtung von Neubauten verstehen werden, die die Bauern dann noch mehr belasten. Auch die Wirksamkeit der jetzt zugesagten Subventionen ist fraglich. Nach der Untersuchung eines staatlichen Beratungsgremiums erreicht bislang von staatlichen Subventionen in der Landwirtschaft nur ein Fünftel die Bauern. Der Rest bleibt in anderen Taschen hängen.

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