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Bundeswehr : Angriff auf eine Armee mit Tradition

Beklagt sie Führungsmängel, fallen diese mit der Zeit auf sie selbst zurück: Ursula von der Leyen bei einer Pressekonferenz Bild: dpa

Die Bundeswehr soll kämpfen – aber an Kämpfer darf sie nicht erinnern: Das Vorgehen von Ministerin von der Leyen schadet der Truppe. Ein Kommentar.

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          Warum ist Ursula von der Leyen nicht sogleich eingeschritten, als der neue französische Präsident in Berlin empfangen wurde? Die Soldaten des Wachbataillons, die ihm zu Ehren antraten, präsentierten wie stets ihre Karabiner K98 – eine Waffe der deutschen Wehrmacht. Sollte nicht alles, was an die Wehrmacht erinnert, aus der Bundeswehr entfernt werden? Oder handelt es sich bei dem Gewehr, das Millionen Deutsche einsetzten, um ein Stück Widerstand?

          Auch die Verteidigungsministerin kann eben der Vergangenheit nicht entfliehen. Und auch nicht gegenwärtigen Tatsachen wie dieser: Die Bundeswehr zieht wie jede Armee (auch) Menschen an, die ein Faible für Hierarchien, Technik, Waffen und Uniformen haben. Man mag daraus schließen, die Streitkräfte seien strukturell anfällig für Rechtsextreme, wie es die Regierung nahelegt. Doch genauso gut könnten die Bischöfe klagen, die Kirchen zögen strukturell Kinderschänder an. Und in der Tat entdecken manche Meinungsmacher, die beide Organisationen nicht kennen, aber strukturell ablehnen, schon Parallelen.

          Mängel fallen auf die gesamte politische Führung zurück

          Aber kaum jemand käme auf die Idee, Polizei und Feuerwehr unter Extremismusverdacht zu stellen – obwohl auch hier Kameradschaft und Korpsgeist wichtig sind. Diese Beamten sind täglich im Einsatz; für Bewerber sind auch die Sonderrechte ein Anreiz. Warum auch nicht? Sie dienen dazu, Menschen zu retten. Und das gilt auch für die Bundeswehr. Nur weil all diese vermeintlich strukturell Rechtsextremen oder dafür Anfälligen ihren Dienst tun, können ungediente Politiker und Publizisten sich über sie in Frieden und Freiheit echauffieren. Wenn aber schon ein bisweilen rauher Umgangston in der Ausbildung als Schikane oder ein Marsch bis zur Erschöpfung als unmenschlich gilt, dann könnte es bald mit Frieden und Freiheit vorbei sein.

          Ursula von der Leyen, die sich bisher bemerkenswert lange und auch durchaus achtbar auf dem Schleudersitz des Verteidigungsministers gehalten hat, muss einsehen, dass, je häufiger sie schwerwiegende Führungsmängel beklagt, diese auf sie selbst zurückfallen. Denn – das lernt man in der Bundeswehr – es wird von vorn geführt. Da hilft auch zur Schau gestelltes hartes Durchgreifen in Form von Bauernopfern nichts. Einem Terrorverdacht nachzugehen, extremistische Umtriebe aufzuspüren und zu beenden, das ist in der Tat eine Führungsaufgabe. Mängel fallen auf die gesamte politische Führung zurück, die nicht nur die Wehrpflicht gleichsam über Nacht abgeschafft hat, sondern zudem die Illusion erweckt hat, die Bundeswehr sei ein Betrieb wie jeder andere.

          Das wäre ein später Sieg der Nationalsozialisten

          Sie ist aber eine Armee. Eine Armee, die in einer langen Tradition steht, wie das Eiserne Kreuz als Hoheitsabzeichen auf Fahrzeugen, Flugzeugen und Schiffen bezeugt. Es geht auf die Befreiungskriege zurück. Die Feldjäger der Bundeswehr tragen den achtzackigen Gardestern mit dem Spruch „Suum cuique“ als Barettabzeichen. Das geht auf Friedrich den Großen zurück, der die reitende Feldjägertruppe gegründet hatte – eine frühe Form der heutigen Militärpolizisten. Dass der Satz „Jedem das Seine“ als KZ-Inschrift missbraucht wurde, sollte kein Grund sein, jetzt alte Traditionen zu kappen. Das wäre ein später Sieg der Nationalsozialisten.

          Die Wehrmacht kann, als Ganzes genommen, nicht traditionswürdig sein. Sie war Instrument im NS-Vernichtungskrieg, eine Armee also, die gerade nicht „anständig“ geblieben war. Aber es hatte nicht nur pragmatische oder opportunistische Gründe, die Wehrmacht seinerzeit nicht zur verbrecherischen Organisation zu erklären. Denn auch der Soldat damals war nicht per se ein Verbrecher. Erst recht war er aber in der Regel kein Widerstandskämpfer. Das Andenken an diese kleine Minderheit hält die Bundeswehr mit Recht hoch. Und doch ist es fragwürdig, wenn tatsächlich nur noch einzelne Taten im Widerstand traditionswürdig sein sollen. Widerstand ist zunächst einmal keine militärische Handlung. Der Soldat darf, wie jeder Beamte auch, menschenrechtswidrige Befehle nicht ausführen. Das ist eine zentrale Lehre aus dem Dritten Reich.

          Durchsuchung in Kasernen : Peinlicher Versuch, sich reinzuwaschen

          Aber in einer kämpfenden Truppe kann nicht nur Widerstand traditionswürdig sein. Persönliche Tapferkeit oder auch eine hervorragende Truppenführung in der Wehrmacht können auch heute noch anerkannt werden. Dafür wurde das Ritterkreuz verliehen. Darum sind Kasernen der Bundeswehr auch nach Soldaten der Wehrmacht benannt worden. Wie die in Delmenhorst nach dem jungen, mehrfach schwer verwundeten Feldwebel Diedrich Lilienthal, der als Panzerjäger und Geschützführer mehrere russische Angriffe abwehrte, im Alter von 23 Jahren fiel und in Riga seine letzte Ruhe fand. Die Namensgebung kann man auch als Mahnung verstehen, man kann sie erklären – auch wenn diese Entscheidung heute nicht mehr so getroffen würde. Warum einen Namen tilgen, der für Millionen steht?

          Noch im Jahr 2011 antwortete die Bundesregierung auf eine kleine Anfrage der Linksfraktion, sie halte es für „unangemessen, die Angehörigen der Wehrmacht pauschal zu verurteilen“. Das geschieht aber heute – durch einen Bildersturm, der zugleich die aktiven Bundeswehrsoldaten unter einen haltlosen Generalverdacht stellt. Und dadurch in ihrer Ehre verletzt.

          Reinhard Müller
          Verantwortlicher Redakteur für „Zeitgeschehen“ und F.A.Z. Einspruch, zuständig für „Staat und Recht“.

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