Schweriner Polizeigesetz : Ist die Karlsruher Entscheidung ein Vorzeichen für weitere Urteile?
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Mecklenburg-Vorpommern, Lubmin: Polizisten begleiten eine Demonstration gegen die Russland-Sanktionen. Bild: dpa
Die Richter in Karlsruhe finden, dass das Polizeigesetz von Mecklenburg-Vorpommern zu weit gefasst ist. Nun geht der Blick in andere Bundesländer.
Die „Gesellschaft für Freiheitsrechte“ war sich am Mittwoch ganz sicher: Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum Schweriner Polizeigesetz werde „über Mecklenburg-Vorpommern hinaus Auswirkungen haben“, schrieb der Verein in einer Mitteilung. Er hatte die Verfassungsbeschwerden gegen das Gesetz unterstützt und koordiniert derzeit mittels „strategischer Prozessführung“ Verfassungsbeschwerden gegen die Polizeigesetze mehrerer Bundesländer. Die Gruppe, im Jahr 2015 vom Grünen-Politiker Malte Spitz gegründet, hat ein Interesse daran, ihren Erfolg auf andere Verfahren zu übertragen.
Ob das gelingt, ist indes keineswegs sicher. Die automatisierte Datenauswertung der Polizei in Hessen und Hamburg, die am 16. Februar in Karlsruhe zur Entscheidung ansteht, greift zwar in dieselben Grundrechte ein wie etliche Normen des Polizeigesetzes von Mecklenburg-Vorpommern. Das Verfahren weist aber einen viel stärkeren Bezug zur Digitalisierung auf als die jetzige Entscheidung.
Die darin beanstandeten Normen aus Schwerin statuieren zwar auch Voraussetzungen für technikbasierte Datenerhebung und Online-Durchsuchungen. Sie gehen aber weit darüber hinaus: Mit den Voraussetzungen für längerfristige Observationen, dem Einsatz von Vertrauenspersonen und verdeckten Ermittlern sowie der Wohnraumüberwachung sind auch herkömmliche Polizeiinstrumente von dem Senatsbeschluss erfasst. Die Karlsruher Richter begründeten ihre Entscheidung deshalb auch nicht mit technischen Überlegungen, sondern vor allem mit ihrem Ärger über die unpräzise Gesetzgebung des Landtags.
Anforderungen nicht berücksichtigt
Um Polizeiarbeit und Grundrechtsschutz in Einklang zu bringen, arbeitet das Bundesverfassungsgericht seit Langem mit unterschiedlichen Gefahrbegriffen. Diese definieren, ab wann eine Polizeimaßnahme zulässig ist. Für längerfristige Observationen ist etwa eine „konkretisierte Gefahr“ erforderlich. Sie ist an zwei Bedingungen geknüpft: Zum einen muss sich ein zeitlich absehbares Geschehen für eine Straftat abzeichnen.
Zum anderen muss klar sein, dass Personen daran beteiligt sind, über deren Identität zumindest so viel bekannt ist, dass die Beobachtung gezielt gegen sie eingesetzt werden kann. Noch strengere Anforderungen gelten für Wohnraumüberwachungen: Das Grundgesetz lässt sie ausdrücklich nur „zur Abwehr dringender Gefahren für die öffentliche Sicherheit“ zu. Sowohl Ausmaß als auch Wahrscheinlichkeit eines Schadens müssen also sehr hoch sein.
Obwohl diese Anforderungen zumindest in ihren Grundzügen bekannt waren, hatte 2020 die damalige rot-schwarze Mehrheit im Landtag darauf verzichtet, das Polizeigesetz konsequent danach auszurichten. In der Norm, die längerfristige Observationen regelt, stand etwa, diese seien bereits dann zulässig, wenn „Tatsachen die Annahme der Begehung“ bestimmter Straftaten nahelegen.
Karlsruhe beanstandete nun, diese Formulierung gehe über eine konkretisierte Gefahr hinaus. Das Risiko, dass die Polizei Bürger observiere, die gar nichts Strafbares planten, sei zu hoch. Aus ähnlichen Gründen störten sich die Richter daran, bei einer Gefahrenprognose vor der Datenerhebung zur Terrorismusverhütung sogenannte Vorfeldtaten einzubeziehen. Diese reichten für eine konkretisierte Gefahr nicht aus.
Weitere Normen gerügt
Neben den genannten Befugnissen beanstandete das Bundesverfassungsgericht auch eine Norm, die bislang regelt, wann verdeckte Ermittler den Kontakt zu ihrer Zielperson abbrechen müssen. Das Polizeigesetz sieht dies vor, wenn der „Kernbereich privater Lebensgestaltung“ Verdächtiger berührt ist – eine allzu enge Beziehung zwischen Ermittler und Zielperson ist also unzulässig. Allerdings kann es Konstellationen geben, in denen der Kontaktabbruch eines Ermittlers Menschen gefährden könnte. Das Polizeigesetz sieht deshalb Ausnahmen für den Kontaktabbruch vor. Auch diese sind Karlsruhe nicht präzise genug formuliert.
Gänzlich seine Befugnisse überschritten hat das Landesparlament im Nordosten mit einer Regelung zur Ausschreibung von Verdächtigen zur polizeilichen Beobachtung. Denn diese Thematik hat bereits der Bundestag in der Strafprozessordnung geregelt. Das sperrt eine eigene Regelung im Landesrecht.