Im Wahljahr : Wie Umfragen die Bundestagswahl beeinflussen
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Was denkt das Volk? Umfrageinstitute finden es heraus, egal ob in Berlin, in Freiburg, Ludwigshafen – oder hier im bayerischen Dorfen. Bild: Jan Roeder
Umfragen sind längst mehr als Gradmesser für Stimmungen. Sie machen Schlagzeilen, beeinflussen Politiker und Wähler. Über die Macht der Zahlen.
Bevor Angela Merkel 2011 zum Weltklimagipfel nach Kopenhagen reiste, bevor sie sich dort als Kämpferin gegen Treibhausgase profilierte, ließ sie sich Umfragen vorlegen. Im Auftrag des Bundespresseamtes riefen dafür die Mitarbeiter des Instituts Emnid einen repräsentativen Querschnitt der Bevölkerung an und stellten Fragen. Ein präzises Bild entstand, was sich die Deutschen von der Umweltpolitik wünschen. Dass sie „Atomenergie“ als Begriff stärker ablehnen als „Kernenergie“, dass etwa die Energiesicherheit durch Atomkraftwerke eine nachgeordnete Rolle spielt, und eine Mehrheit unterstützt die Aussage, dass Industrieländer eine besondere Verantwortung haben. Andere Aussagen wurden getestet, die sich später wortgleich in Reden Merkels fanden. Sie wusste die Mehrheit der Bevölkerung hinter sich.
Umfragen verleihen Entscheidungsprozessen etwas Fundiertes. In einer unübersichtlichen Welt weiß man zumindest, was das Volk zu bestimmten Themen denkt. Wo es einen Mainstream gibt. Etwa im Fall der „Ehe für alle“: Vielleicht hat Angela Merkel auch hier die Befragungen gesehen, wonach 83 Prozent der Bürger eine Gleichstellung der Ehe von Homosexuellen befürworten. Sie mag bemerkt haben, dass es gerade potentielle Anhänger der liberalen Merkel-CDU sind, die sie im Wahlkampf mit dem Thema hätte verschrecken können.
„Merkels Demoskop“
Der Mann, der häufig mit Angela Merkel über die Stimmungen im Land spricht, heißt Matthias Jung. Der 61 Jahre alte Meinungsforscher leitet die Forschungsgruppe Wahlen, die vor allem für das ZDF Daten erhebt. Gegen den Titel „Merkels Demoskop“, der sich in manchen Texten über Jung findet, wehrt er sich nicht. Er kann präzise über Wählerpotentiale sprechen. Darüber zum Beispiel, dass die CDU sich zwangsläufig in die Mitte habe bewegen müssen. Es gebe keine Alternative: „Mit dem alten Profil der Union gewinnen sie ein paar sehr Konservative zurück, sie verlieren aber zehn Prozent in gemäßigten Kreisen.“ Ob es ein kluger Schritt sei, dass die SPD jetzt die Flüchtlingskrise thematisiert? Zumindest beschäftige das Thema große Teile der Anhängerschaft, sagt er.
Dieser Artikel stammt aus der Frankfurter Allgemeine Woche
Jung leitet seit 1994 das Meinungsforschungsinstitut. Er kennt noch die Zeit, als es nur wenige Institute gab, als die Zahl der Umfragen noch überschaubar war. Heute hat fast jedes größere Medium eine Meinungsforschungsfirma als Partner. Jung kann viel über Mitbewerber schimpfen. Über die neuen, die aus seiner Sicht keine repräsentativen Daten liefern, über die alten, die antiquierte Methoden verwendeten. Der Stellenwert einzelner Umfragen, glaubt Jung, hat zugenommen: „Unseren Zahlen wird, davon bin ich überzeugt, ein höherer Stellenwert beigemessen.“ Einen Vertrauensverlust der Branche erkennt er nicht. Nicht die Umfrage sei das Problem, sondern die fehlende Einordnung durch Journalisten.
Die Frage, wen die Bürger am Sonntag wählen wollen, ist der vielleicht am besten getestete Wert in der Sozialwissenschaft. Alle Institute behaupten von sich, repräsentativ zu befragen. Das heißt, Beruf, Bildung, Einkommen, Alter, regionale Herkunft und Geschlecht sind der Gesamtbevölkerung entsprechend in der Gruppe der Befragten gleichmäßig verteilt. Infratest Dimap und die Forschungsgruppen, die für ARD und ZDF arbeiten, führen telefonische Befragungen durch. Jüngere Wähler sind dabei häufig unterrepräsentiert – sie haben keinen Festnetzanschluss. Bei nationalen Wahlen wird inzwischen auch per Zufallsprinzip im Mobilfunknetz angerufen. Aber wenn sich der Mitarbeiter eines Institutes meldet, machen dann die höher Gebildeten und politisch Interessierten, so die augenscheinliche Kritik, nicht generell eher bei einer Umfrage mit?