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Absenkung des Wahlalters : Zu jung zum Wählen?

  • -Aktualisiert am

Anhänger der Jungen Union im April in Düsseldorf Bild: dpa

Viele Jugendliche sind politisch interessiert, dürfen bei der Bundestagswahl aber noch nicht wählen. Wirkt sich das negativ auf ihr späteres Wahlverhalten aus? Ein Gastbeitrag.

          3 Min.

          In Deutschland ist es rechtlich sehr schwierig, Bürgern das Wahlrecht zu entziehen. Nur bei schweren politischen Straftaten, bei in der Psychiatrie untergebrachten Straftätern sowie bei voll betreuten behinderten Menschen dürfen Richter diesen Schritt anordnen. Doch bei einer Gruppe von 16 und 17 Jahre alten Jugendlichen passiert im Moment etwas Ähnliches: Sie durften im Mai bei der Landtagswahl in Schleswig-Holstein wählen, müssen aber am 24. September bei der Bundestagswahl wieder zuschauen. Sie sind nicht länger wahlberechtigt. Denn in Schleswig-Holstein und drei anderen Bundesländern gilt das Wahlrecht ab 16, doch bei Bundestagswahlen darf man erst ab 18 Jahren wählen. Durch diese föderale Kuriosität verlieren einige Bürger ihr gerade erst gewonnenes Wahlrecht wieder.

          Uneinheitliche Regeln bei Bundestags- und Landtagswahlen erscheinen wenig sinnvoll. Das zeigen auch empirische Studien. Im Rahmen eines Forschungsprojekts haben wir direkt im Anschluss an die Landtagswahl in Schleswig-Holstein 3800 Jugendliche und junge Erwachsene zwischen 15 und 18 Jahren befragt. Dabei zeigte sich ein klares Muster: Fast einhellig gaben junge Wähler an, auf jeden Fall auch bei der Bundestagswahl wählen zu wollen. Doch 40 Prozent von ihnen werden dann gar mehr nicht wahlberechtigt sein. Wie sich dieser temporäre Verlust des Wahlrechts auf die Motivation auswirkt, später abermals zu wählen, ist völlig unklar.

          Interesse folgt Beteiligungsmöglichkeiten

          Ein häufig vorgebrachter Einwand gegen das Wahlrecht mit 16 Jahren ist, dass Jüngere nicht genug an Politik interessiert sind, um kompetent wählen zu können. Doch wer wählen darf, beschäftigt sich mehr mit und informiert sich intensiver über Politik als nicht Wahlberechtigte. Bei einem Vergleich der gerade 16 Jahre alten Jugendlichen mit noch 15 Jahre alten zeigt sich, dass die Wahlberechtigten auch politisch interessierter sind: die bereits 16 Jahre alten interessieren sich stärker für den Wahlkampf, verfügen über ein größeres politisches Wissen und nutzen häufiger Angebote wie den Wahl-O-Mat. Dabei fällt auf, dass sich gerade die jüngsten Wahlberechtigten besonders stark interessieren und informieren. So gab ein größerer Anteil der noch nicht 18 Jahre alten Wahlberechtigten an, den Wahl-O-Mat genutzt zu haben, als von den schon 18 Jahre alten.

          32 von 33 Parteien haben die Wahl-O-Mat-Thesen beantwortet. Jetzt sind Sie an der Reihe: Vergleichen Sie Ihre Standpunkte mit den Antworten der Parteien.

          Zum Wahl-O-Mat

          Das politische Interesse ist demnach nicht auf einem bestimmten Niveau oder Alter fixiert, sondern wird durch Beteiligungsmöglichkeiten entfacht und gesteigert. Von einem generellen Desinteresse der Jungend an Politik kann nicht gesprochen werden. Als Einwand gegen ein niedrigeres Wahlalter wiegt schwerer, dass die sozialen Unterschiede im politischen Verhalten gerade bei den Jungen besonders groß sind. Wahlanalysen zeigen immer wieder, dass die Unterschiede bei der Wahlbeteiligung bei Menschen zwischen 16 und 30 viel größer ausfallen als bei Personen im Rentenalter.

          Das gilt auch für die untersuchte Gruppe der Erstwähler. Nur knapp über die Hälfte der Befragten mit formal niedriger Bildung berichtet, an der Landtagswahl teilgenommen zu haben. Bei den Abiturienten sind es dagegen 87 Prozent. Auch das politische Wissen und das Interesse am Wahlkampf sind bei Gymnasiasten deutlich stärker ausgeprägt. So konnten drei Viertel der Abiturienten korrekt beantworten, ob sich die Sitzverteilung im Parlament nach der Erst- oder Zweitstimme richtet, aber nur knapp ein Drittel derjenigen, die nicht das Gymnasium besuchen.

          Unterschiede zeigen sich vor allem bei der Bildung

          Informationsangebote wie der Wahl-O-Mat werden von vielen Menschen genutzt, tragen aber nicht unbedingt dazu bei, bestehende Unterschiede zu verringern. Sie werden ebenfalls von Gymnasiasten am häufigsten genutzt. Zwei Drittel der Abiturienten geben an, sich mithilfe des Wahl-O-Mats informiert zu haben, bei den Gemeinschaftsschülern sind es nur 40 Prozent. Bei Befragten mit geringerer Bildung, die sich zudem nicht für den Wahlkampf interessieren, geben nur 32 Prozent an, den Wahl-O-Mat genutzt zu haben.

          Bei den am Wahlkampf interessierten Gymnasiasten sind es dagegen 75 Prozent. Generell scheinen Informationsangebote besonders diejenigen zu erreichen, die sich bereits für Politik interessieren und den Wahlkampf aufmerksam verfolgen. Politikferne und Desinteressierte werden hingegen kaum erreicht und auch nicht mobilisiert.

          Für bereits 16 Jahre alte Jugendliche, die sich ohnehin für Politik interessieren und auf deren Elternhäuser das gleiche zutrifft, ist eine Absenkung des Wahlalters attraktiv. Nichts spricht dagegen, dass sich diese Gruppe genauso gut (oder schlecht) über Politik und Wahlprogramme informieren wird, wie das ältere Wahlberechtigte tun. Ein prinzipielles Argument gegen ein niedriges Wahlalter lässt sich hier nicht finden. Doch ohne verstärkte Bemühungen, gerade politikferne Jüngere gezielt anzusprechen, für Politik zu begeistern und über Wahlen zu informieren, wird diese Gruppe nicht an Wahlen teilnehmen, wodurch die Beteiligungsunterschiede eher noch anwachsen.

          Denn Wählen muss nicht nur erlernt werden, sondern hat auch eine starke Gewohnheitskomponente: Wer mehrmals hintereinander gewählt hat, wird dies mit hoher Wahrscheinlichkeit weiter tun. Doch leider gilt auch das Gegenteil, weil gewohnheitsmäßige Nichtwähler nur sehr schwer zu überzeugen sind, doch wieder ihr Wahlrecht zu gebrauchen. Nicht auszuschließen ist zudem, dass ein zwischen Land und Bund uneinheitliches Wahlalter auch die Wahlmotivation derer untergräbt, die sich auf dem besten Weg befinden, zu gewohnheitsmäßigen Wählern zu werden.

          Umfrage

          , Umfrage von:
          Quelle: wahlrecht.de Alle Ergebnisse aus Bund und Ländern

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