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Schlachtfeld AfD : Rechte Risikofraktion mit freien Radikalen

Hier gehe ich und kann nicht anders: AfD-Parteichefin Frauke Petry verlässt die Fraktion Bild: Daniel Pilar

Mit ihrem Auszug aus der neuen Fraktion eröffnet Frauke Petry ein weiteres Schlachtfeld in der zerstrittenen AfD. Doch Petrys Kampfansage an Gauland ist nicht das größte Problem der Rechtspopulisten im Bundestag. Eine Analyse.

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          Man könnte sich AfD-Politiker wie in einem Freudentaumel vorstellen. Mit knallenden Champagnerkorken und trunken auch von all den Hochrechnungen des Sonntagabends, die ihrer Partei ein viel höheres Ergebnis bescheinigten, als sie selbst oder die Umfrageinstitute erwartet hatten. Tatsächlich gehen AfD-Funktionäre dieser Tage aber auch mit einem Grummeln in der Magengegend durch ihre Wahlkreise. Der Erfolg der Bundestagswahl wird von diesem Grundgefühl nicht getrübt. Niemand in der AfD würde von etwas anderem sprechen, als von dem Glücksgefühl, es endlich den etablierten Parteien gezeigt zu haben. Und dennoch, es bleiben Probleme.

          Justus Bender
          Redakteur in der Politik der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung.

          Dass die Parteivorsitzende Frauke Petry künftig im Bundestag auf einem einsamen blauen Stuhl abseits der übrigen Fraktionsmitglieder sitzen wird, ist eines von ihnen. Wenn einfache Mitglieder einer Partei von der Fahne gehen, ist das stets ein Makel. Wenn es die Parteivorsitzende selbst ist, die ihren Parteifreunden einen so falschen Kurs bescheinigt, dass sie nicht einmal eine gemeinsame Fraktionszugehörigkeit ertragen will, ist in jeder Hinsicht ein Superlativ. Dass Petry vor diesem Hintergrund noch Parteivorsitzende bleiben kann, dass sie überhaupt bis zur Vorstandswahl im Dezember im Amt bleiben kann, gilt als sehr fraglich. Sollte Petry stürzen, wäre kein Szenario wahrscheinlich, wie es einst kam, als der damalige AfD-Vorsitzende Bernd Lucke seine Partei mit Pauken und Trompeten verließ. Ihm folgten damals mehrere Tausend Mitglieder. Wenn Petry geht, wird es keinen Exodus geben. Was aber bleiben wird, ist ein schaler Geschmack.

          Der Anfang vom Ende

          Petrys Abstieg begann wie der von Lucke. Er begann, als Petry sich gegen Radikale in der Partei wendete. Höhepunkt dieser Entwicklung war der gleiche wie bei Lucke. Beide beantragten Parteiausschlussverfahren gegen den rechtsradikalen thüringischen Landesvorsitzenden Björn Höcke. Und für beide war dieser Moment der Anfang vom Ende.

          Widerspruch wurde laut. Von einer Einschränkung der Meinungsfreiheit war die Rede. Von diktatorischen Zügen der Parteiführung, von einer Gesinnungspolizei, und, und, und. Es gibt kaum etwas, was für AfD-Mitglieder einen schlimmeren Vorwurf darstellt als das. Der Abgang von Petry wird für die Partei deshalb weniger ein praktisches Problem als vielmehr eines der Rufschädigung sein. Eine Partei, die Vorsitzende verschleißt, sobald diese sich vom Rechtsradikalismus distanzieren wollen, kann kaum bürgerliche Mäßigung für sich behaupten. Sollten sich mehrere Abgeordnete Petry anschließen und eine eigene kleine Fraktion gründen, hätte die Partei ein optisches Problem von noch größerer Sichtbarkeit.

          Und Petry ist nicht das einzige Problem, das AfD-Politiker dieser Tage umtreibt. Die Größe der AfD-Fraktion im Bundestag ist ein weiteres. Es sind, grob gesagt, zu viele Abgeordnete. Nicht, dass nicht jeder AfD-Funktionär von Rang und Namen sein Glück über den Wahlerfolg zum Ausdruck bringen würde. Aber es war schon im Wahlkampf in der Parteiführung darüber gesprochen worden, dass viele AfD-Kandidaten auf den hinteren Listenplätzen nicht notwendigerweise die Fraktion bereichern würden. Dass es gar taktisch günstiger sein könnte, mit einer kleineren, qualitativ hochwertigeren und leichter zu kontrollierenden Fraktion im Bundestag das Debüt zu geben, als mit einer großen, zerstrittenen und skandalträchtigen Großfraktion. Doch dieser zweite Fall ist nun eingetreten.

          Das Radikalismusproblem ist dabei nicht das entscheidende. Sollte Alexander Gauland Fraktionsvorsitzender werden, wird er, der selbst Radikales sagt, nicht Beschwerde anmelden, wenn andere es ihm nachtun. Die Sorge, die AfD-Funktionäre umtreibt, betrifft allein die Politikfähigkeit mancher Hinterbänkler. Die Gabe also, manchmal hart auszuteilen, dann aber auch wieder Mäßigung walten zu lassen, wenn die Fraktionsdisziplin das erfordert.

          Etliche Bundestagskandidaten der AfD werden das Wahlergebnis am Sonntagabend als große Überraschung erlebt haben. Zwar hatten sie auf den Landeslisten kandidiert, in den meisten Bundesländern rechnete jedoch niemand, der nicht auf den vorderen Plätzen vertreten war, mit einem baldigen Umzug nach Berlin. Sie werden in den kommenden Wochen eilig bewerkstelligen, was andere Kandidaten seit Monaten planen konnten: die Wohnungssuche in Berlin, den Umzug, die Beurlaubung im Beruf. Ihre Ankunft wird von den ranghöheren Kandidaten kritisch beäugt werden. Entsprechend groß ist das Abenteuer, auf das sich die AfD-Fraktion einlässt. Die Abgeordneten wissen nicht im Detail, wer die Parteifreunde sind, die neben ihnen sitzen. Intrigen, Ränkespiele und Spaltungen könnten die Folge sein. Das Jagen der Regierung Merkel, von dem Gauland am Wahlabend sprach, könnte dann in etwas anderes umschlagen: Die Abgeordneten könnten selbst zu Gejagten ihrer eigenen Probleme werden.

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