Wahlparteitag der Grünen : Eine demonstrative Selbstvergewisserung
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Robert Habeck und Annalena Baerbock beim Bundesparteitag von Bündnis 90/Die Grünen am 19.09.2021 in Berlin. Bild: dpa
Trotz schlechter Umfragewerte strahlen die Grünen eine Woche vor der Bundestagswahl Selbstvertrauen aus. Nur Robert Habeck mutet ihnen etwas Realität zu.
Prinzip Hoffnung trifft es nicht ganz. Die Grünen setzten auf ihrem Wahlparteitag am Sonntag auf das Prinzip Utopie. Die Partei steht in aktuellen Umfragen bei 15 oder 16 Prozent, nur noch knapp vor der FDP und mit großem Abstand hinter Union und SPD. Doch wer den Rednern in der Reinbeckhalle in Köpenick zuhörte, konnte glauben, das Kanzleramt sei zum Greifen nahe: Die Grünen stärkste Kraft, Annalena Baerbock die nächste Kanzlerin, so hieß es in einer Rede nach der anderen.
Einen neuen Aufbruch gebe es „nur mit starken Grünen in der Regierung, angeführt von Annalena Baerbock, am liebsten gemeinsam mit der SPD“, sagte Bundesgeschäftsführer Michael Kellner und erinnerte an den „fulminanten Schlussspurt“, den die Grünen vor der Bundestagswahl 2017 gehabt hätten. „Das machen wir auch diesmal!“
Jubel für Baerbock
Christian Meyer aus Niedersachsen berichtete von den Wahlerfolgen bei der Kommunalwahl, von Grünen, die in einzelnen Kommunen auf Platz eins gelandet seien, obwohl die Medien ein Duell zwischen SPD und CDU vorhergesagt hätten. Winfried Kretschmann, Ministerpräsident in Baden-Württemberg, sagte: „Nur eine Partei weiß, was zu tun ist. Es gibt nur eine Kandidatin, die sich mit jeder Faser dafür einsetzt, dass unsere Kinder und Enkel noch in Freiheit leben können.“ Baerbock wurde vor und nach ihrer Rede von den Delegierten frenetisch bejubelt. Zu sehen war eine demonstrative Selbstvergewisserung, fast eine Autosuggestion.
Baerbock hatte ihre Rede mit dem Hinweis begonnen, sie wolle erst einmal nicht als Kanzlerkandidatin sprechen, sondern als Parteivorsitzende. Damit wollte sie nicht zugeben, dass diese Rolle eher der Wirklichkeit entspricht. Es ging darum, der Partei Mut zu machen, man kann auch sagen, sie zum Durchhalten aufzurufen. „Jeder Dritte ist noch unentschieden“, rief Baerbock. „Das sind 20 Millionen Menschen.“
Umfrage
Die vergangenen Wochen seien „turbulent“ gewesen, aber zu spüren sei doch: „In diesem Land steckt so viel Kraft, ist so viel möglich, schlagen wir ein neues Kapitel auf.“ Man sei aufgebrochen zu einem Gipfel, „die letzten Meter liegen noch vor uns“, sagte Baerbock. „Lasst uns noch einmal richtig reinhauen“, sagte sie. „Wir kämpfen jetzt mit allem, was wir haben. Und ja, wir brauchen noch deutlich mehr Stimmen für einen echten Aufbruch.“
Angriff auf CDU und SPD
Es folgte ein Ritt durch das grüne Wahlprogramm. Baerbock sagte dabei keinen einzigen Satz, den sie nicht schon genauso oder so ähnlich unzählige Male gesagt hat. Die nächste Regierung müsse eine Klimaregierung sein, die Regierungsjahre von Union und SPD seien „vergeudete Jahre“ gewesen. Klimaschutz und soziale Gerechtigkeit dürften nicht gegeneinander ausgespielt werden. „Das geht Hand in Hand“, sagte Baerbock. „Klimaschutz sichert Arbeitsplätze, unseren Industriestandort und damit den sozialen Wohlstand.“
Sie forderte einen „Aufbruch für soziale Gerechtigkeit“. Die erste Maßnahme der neuen Bundesregierung müsse die Anhebung des Mindestlohns sein. Die SPD habe sich zwar schöne Namen für ihre Gesetze ausgedacht, wie das Starke Familien Gesetz. „Aber solche Überschriften helfen nichts“, sagte Baerbock und sprach über die grüne Idee einer Kindergrundsicherung. „Jedes fünfte Kind lebt in Deutschland in Armut. Wahrer Reichtum ist, wenn kein Kind in Armut lebt.“ Es ging um Europa, für das die große Koalition zu wenig getan habe. Dann kamen die bekannten grünen Ideen Außenpolitik und China. „Der Union fehlt es an einer klaren Haltung“, sie müsse endlich in die Opposition.
Habeck: „In dummen Debatten steckengeblieben“
Robert Habeck war der letzte Redner auf diesem Wahlparteitag. Er war der einzige, der anders sprach. Der Baerbock nicht schon ins Kanzleramt projizierte, der überhaupt wenig über die Ko-Vorsitzende sprach. Und der einzige, bei dem so etwas wie Reflexion über die vertane Chance aufblitzte. „Irgendwas war nicht richtig an diesem Wahlkampf“, sagte er und mancher Grüne hielt den Atem an, ob jetzt etwa eine Analyse von Baerbocks Fehlern folgten sollte.
Das ließ Habeck bleiben. Die Hauptschuld dafür, dass man im Wahlkampf über die „eigentlichen Herausforderungen“ nicht diskutiert hätte, gab er der politischen Konkurrenz. Nach dem Klima-Urteil des Bundesverfassungsgerichts aus dem April hätte man einen konstruktiven Streit über die besten Antworten führen müssen. „Doch wir sind steckengeblieben in dämlichen und dummen Debatten“, sagte Habeck.
„Was kostet Klimaschutz ist doch gar nicht die Frage. Die Frage ist: Was kostet kein Klimaschutz. Fragt die Leute im Ahrtal, was das kostet“. Es sei auch die falsche Frage, ob sich ein Mensch noch eine „neunte Bratwurst“ leisten kann, wenn ihm schon schlecht ist. „Ihr soziales Gewissen entdeckten Union und SPD bei Bratwurstfragen“, so Habeck.
Baerbock bleibt unten
Doch seine Rede war nicht nur ein Draufhauen auf die anderen, im Subtext konnte man durchaus Kritik an der eigenen Wahlkampagne lesen. Als er sagte: „Dieser Wahlkampf hatte die Chance, eine neue Debatte über die zukünftige Gestaltung zu führen“, schwang die Klage mit, dass die Grünen diese Chance nicht genutzt haben. Dass sie dafür zu sehr mit sich und Baerbocks Fehlern beschäftigt waren.
Am Schluss seiner Rede mutete er seiner Partei die Realität zu: „Wir wissen noch nicht genau, wie die nächste Ära sein wird, wer sie prägen wird.“ Anders als viele andere Sätze schaffte es dieser nicht auf den grünen Twitterkanal. Habeck endete: „Kämpfen wir für den Aufbruch, kämpfen wir für die Freiheit und kämpfen wir für Annalena.“
Die Kandidatin lief nicht auf die Bühne, wie es sonst nach Reden des Ko-Vorsitzenden üblich ist. Allein schon wegen der Bilder. Sie blieb unten stehen.