F.A.Z. Machtfrage : Wie stabil ist das Ampel-Bündnis?
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Nicht alle in der SPD finden ihn toll: FDP-Chef Christian Lindner Bild: dpa
Man hört es knirschen im Ampel-Bündnis. Wo ist die Harmonie vom Anfang hin? Vor allem Teile der SPD haben noch Probleme mit der FDP.
Wer Visionen hat, sollte zum Arzt gehen? Das Diktum des früheren SPD-Kanzlers Helmut Schmidt gilt für den baldigen SPD-Kanzler Olaf Scholz offenbar nicht. Am Samstag stand Scholz in einer Frankfurter Sporthalle auf der Bühne des Juso-Bundeskongresses. Er hatte sich vom Jugendverband einiges anhören müssen: Die im Koalitionsvertrag vereinbarte Migrationspolitik sei „scheiße“. Frontex eine „Verbrecherbande“. „Meine Stimmung kippt, wenn ich weiterlese“, meinte jemand anderes.
Scholz saß in der ersten Reihe und hörte sich das alles tapfer an. Sein Selbstbewusstsein wird das alles nicht angekratzt haben. Nach der Aussprache kam er nochmal auf die Bühne und Jessica Rosenthal, die Juso-Vorsitzende und Bundestagsabgeordnete, verabschiedete ihn mit versöhnlichen Worten: Sie freue sich auf die nächsten vier Jahre mit Scholz als Kanzler. Der fragt gespielt empört: „Vier?“
Scholz will dieses Jahrzehnt zu einem sozialdemokratischen Jahrzehnt machen. Will heißen: Nach vier Jahren soll für ihn im Kanzleramt nicht Schluss sein. Aber ist es realistisch, dass er über die Bundestagswahl 2025 hinaus Kanzler bleibt?
Das weiß jetzt natürlich noch niemand. Aber einige Beobachtungen kann man doch machen. Scholz, endlich am Ziel, will länger als nur eine Legislaturperiode Kanzler bleiben. Deswegen spricht er auch überaus freundlich über die Ampel-Partner Grüne und vor allem FDP. Aber: Nach der anfänglichen Euphorie und zur Schau gestellten Einigkeit, knirscht es schon hörbar zwischen den drei Parteien. So ein Bündnis gab es auf Bundesebene noch nie. Und dass das eine Herausforderung darstellt, ist schon jetzt bemerkbar. Dazu kommt: Deutschland befindet sich in einer schweren Krise. Die Corona-Zahlen sind dramatisch, die Politik muss handeln. Die Ampel-Koalition hat ihren ersten Stresstest, bevor sie überhaupt im Amt ist. Selbst in der Kanzler-Partei SPD zeigt die vielbeschworene Geschlossenheit Risse.
Aber erst einmal zu den Grünen. Bei denen bekämpfen sich jetzt wieder die Parteiflügel. Dabei dachte man ja, die gibt es gar nicht mehr. Vorbei die Zeiten, in denen von Fundis und Realos gesprochen wurde. Aber jetzt zeigt sich: Der Streit war weiter da, er wurde nur vom (Umfragen-)Erfolg überdeckt. Nun aber geht’s ums Eingemachte: Die Grünen waren erfolgreich bei der Bundestagswahl, aber eben nicht erfolgreich genug, um so viele Posten vergeben zu können, dass alle zufrieden sind. Fünf Ministerposten hat sie errungen – und über die kam es nun zum Streit. Die linken in der Partei fühlen sich übergangen. Manifestiert hat sich das an der Personalie von Cem Özdemir, dem Ober-Realo, der nun Landwirtschaftsminister wird.
Dieser Streit ist noch nicht zu Ende. Die Grünen sind damit zum Unsicherheitsfaktor in der neuen Koalition geworden. Wer hätte das gedacht. Bislang galt ja die FDP als Wackelkandidat. Aber die zeigt sich überaus zufrieden mit dem Verhandlungsergebnis. Im Koalitionsvertrag stehen viele liberale Politikinhalte, sie hat die Ressorts ergattert, die zu ihrem Profil passen.
Logisch, dass das die SPD ärgert. Also nicht alle in der SPD. Olaf Scholz, der wichtigste Sozialdemokrat, ist mit dem Ergebnis der Verhandlungen zufrieden. Er will nicht nur länger als vier Jahre regieren, sondern hat offenbar auch keine Probleme bei der kulturellen Annäherung an die FDP. Beim schon erwähnten Juso-Kongress am Wochenende mahnte er die aufmüpfige Parteijugend, sie möge lieber schlecht über die Oppositionsparteien CDU und CSU reden, und nicht über den künftigen Koalitionspartner FDP. Er gab es ihnen „als Tipp“ mit. Das klang ganz ein wenig altväterlich und von oben herab.
Sowas mag niemand gerne, die Jusos aber erst recht nicht. Offenbar fand das auch Kevin Kühnert nicht angemessen. Er war einige Stunden nach Scholz zu den Jusos nach Frankfurt gekommen – und hielt eine Rede, die es in sich hatte.
Beim Mietrecht habe man längst nicht so viel erreicht wie gewollt – wegen der FDP, sagte Kühnert. Es müsse möglich sein, die Unterschiede zwischen den Parteien zu betonen, ohne dass man gleich glaube, morgen breche die Koalition zusammen. Und man müsse sagen dürfen, dass man nach vier Jahren womöglich gerne in einem anderen Regierungsbündnis regieren wolle.
Damit stellte Kühnert das Ampel-Bündnis nicht grundsätzlich in Frage. Wie könnte er auch, schließlich war er an den Koalitionsverhandlungen zum Thema Bauen und Wohnen beteiligt. Aber es war eine Attacke gegen die „Freunde“ (Scholz) von der FDP – und gegen den künftigen Kanzler selbst. Ein ziemlicher Hammer.
Kühnert weiß, dass auf ihn geschaut wird, vor allem in der SPD selbst. Er ist längst über die Rolle des Juso-Vorsitzenden und Groko-Gegners hinausgewachsen. Er ist nun viel enger eingebunden. Aber er mobilisiert weiterhin, sein Wort hat Gewicht und wird gehört. Er hat mit seiner Rede deswegen für Unruhe gesorgt. Die nächsten Wochen und Monate werden zeigen, ob die einen Nährboden findet, auf der sie wachsen kann.
Und der künftige Kanzler? Einer von Scholz‘ Lieblingssätzen ist dieser: „Wer bei mir Führung bestellt, muss wissen, dass er sie dann auch bekommt.“ Er hat diesen Satz in vielen Zusammenhängen gesagt. Nun fällt auf: In Sachen Corona-Management hat man nicht den Eindruck, dass er führt. Er ist merkwürdig ruhig. So entsteht ein Vakuum der politischen Planlosigkeit – auch wenn daran noch andere Schuld tragen.
Wird er denn Führungsstärke in der Ampel-Koalition beweisen? Scholz ist kein klassischer Basta-Politiker. Aber sein Führungsanspruch ist klar, sonst wäre er erst gar nicht Kanzlerkandidat geworden. Aber wie passt das zu der von ihm versprochenen Koalition auf Augenhöhe zusammen?