FDP im Wahlkampf : Retter mit Kuhfleckenkrawatte
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FDP-Chef Christian Lindner Bild: TRUEBA/EPA-EFE/REX/Shutterstock
Kaum eine Partei ist so auf ihren Vorsitzenden fixiert wie die FDP auf Christian Lindner. Wohl auch, weil er die Liberalen aus der schwersten Krise ihrer Geschichte geführt hat.
In der Berliner Parteizentrale der FDP hängt eine Uhr. Es ist keine normale Uhr, die einfach zeigt, wie spät es ist – sondern eine Uhr, die in die Zukunft weist. Diese sogenannte Uhr, die vor dem Büro des Parteivorsitzenden Christian Lindner angebracht ist, zählt die Tage und Stunden, die noch bis zur Bundestagswahl verbleiben. Im Hans-Dietrich-Genscher-Haus freuen sie sich auf den Moment, an dem es endlich soweit ist.
Zwar bemühen sich die Verantwortlichen in der Parteiführung um einen Rest an Vorsicht und jubeln noch nicht über die Rückkehr in den Bundestag. Die seit langer Zeit deutlich über der Fünf-Prozent-Marke liegenden und in der Tendenz noch steigenden Umfragen führen aber doch dazu, dass die Zuversicht überwiegt. Am 24. September soll die bislang schwerste Zeit in der Geschichte der FDP enden: Zum ersten Mal seit Gründung der Bundesrepublik war die Partei für vier Jahre nicht im Bundestag vertreten. Und zum ersten Mal war sie über einen Zeitraum von eineinhalb Jahren an keiner Landesregierung beteiligt.
Die organisatorischen Vorbereitungen für die Rückkehr haben schon begonnen. Im Berliner Hauptquartier wurde festgelegt, in welchen Räumlichkeiten die Konstituierung der Bundestagsfraktion stattfinden wird. Das muss in der Parteizentrale sein, denn es wird eine Weile dauern, bis die Bundestagsverwaltung der FDP Fraktionsräume zuweist. Eine Verwaltung kann schließlich nicht auf der Grundlage guter Umfragewerte planen.
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Kubicki sucht schon eine Bleibe in Berlin
Einzelpersonen sind da freier. Wolfgang Kubicki, stellvertretender Bundesvorsitzender, mit dessen Hilfe der schleswig-holsteinischen FDP vor wenigen Monaten der Eintritt in eine Landesregierung mit CDU und Grünen gelang, kandidiert für den Bundestag und sucht mit seiner Frau schon mal eine Bleibe in Berlin. Dabei wundert er sich über die „beachtlichen“ Mietpreise in der Bundeshauptstadt. Das sind harmlose Sorgen im Vergleich zu denen, die er 2010 artikulierte, als er sagte, er wolle nicht nach Berlin, weil er dort zum „Trinker“, vielleicht auch zum „Hurenbock“ würde. Was sich geändert habe, wollte dieser Tage der Bonner „General Anzeiger“ von ihm wissen: „Mein Alter. Ich bin mittlerweile sittlich und moralisch gefestigt“, antwortete der 65 Jahre alte Kubicki.
Am Sonntag steht er im Estrel Congress Center an der Sonnenallee in Berlin und heizt seinen Parteifreunden für die letzte Wahlkampfwoche noch einmal kräftig ein. Regelmäßig erfüllt er in solchen Momenten die komödiantischen Erwartungen seiner Anhänger. Das gilt vor allem für das Szenario, das er für den Wahlabend zeichnet. Kubicki kündigt an, was er sofort nach der Schließung der Wahllokale in die Kameras sagen werde: „Ich freue mich, ich bin stolz, und ich gehe jetzt einen saufen.“ Kurz darauf kommt er noch mal ans Mikrofon und ergänzt, er werde „selbstverständlich“ nur Alkoholfreies zu sich nehmen, schließlich hörten an den Bildschirmen auch Kinder zu.
Die FDP-Führung hatte am Sonntag zu einem Parteitag eingeladen, der nur wenige Stunden dauern sollte. Eine Woche vor der Wahl wirkt die Veranstaltung wie ein kollektives Unterhaken auf den letzten Metern des Wahlkampfes. Beschlossen werden ohne jede Gegenwehr aus dem Plenum zehn erwartbare, sogenannte politische Trendwenden, die nichts anderes als eine Kurzform des Wahlprogramms sind. Bildung und Digitalisierung werden als Schwerpunkte genannt, ein Einwanderungsgesetz gefordert, eine Steuerentlastung bis zum Jahr 2021 im Umfang von 30 bis 40 Milliarden als möglich dargestellt. Alles längst von der Partei beschlossene Positionen. Roten Linien werden nicht gezogen und es werden auch keine unerfüllbaren Bedingungen für eine Koalition formuliert. Stattdessen wird die Bereitschaft zum Regieren bekräftigt.
Nach Kubicki spricht Lindner. Die beiden stehen sich hinsichtlich ihrer Eloquenz in nichts nach. Aber Lindner überlässt die Späße dem Mann aus Schleswig-Holstein, während er den zwar lockeren – ohne Krawatte und Rednerpult auskommenden –, aber durchweg seriösen Parteivorsitzenden gibt. Lindner benennt mit großem Nachdruck ein Ziel, das von grundsätzlicherer Natur ist als alle inhaltlichen Fragen. Entscheidend am Ausgang der Wahl sei nicht, wie das Rennen zwischen Union und SPD ausgehe oder das zwischen FDP und Grünen. Entscheidend sei, wer hinter Union und SPD die drittstärkste Kraft werde, die FDP oder die AfD, der Linder mehrmals einen „völkisch-autoritären“ Kurs vorwirft. In den jüngsten Umfragen liegen beide Parteien gleichauf, vor Grünen und Linkspartei. Dadurch gewinnt Lindners Schreckensszenario an Plausibilität: Wenn es wieder zu einer großen Koalition kommen sollte, könnte auf deren Eröffnungsreden im Bundestag künftig ein AfD-Politiker als erstes antworten, weil nach parlamentarischer Gepflogenheit die größte Oppositionsfraktion dieses Recht der ersten Antwort hat. Wer dies verhindern wolle, müsse also FDP wählen, so Lindners Logik.
Der Vorsitzende und seine Partei haben einen langen Weg hinter sich. Es ist nicht ausgeschlossen, dass die Partei aus dem Kreis der bundespolitisch relevanten Parteien verschwunden wäre, wenn Lindner den Vorsitz nicht wenige Monate nach der beispiellosen Havarie im Dezember 2013 übernommen hätte. Ein anderer stand nicht bereit. Dass sich überhaupt jemand die Wiederaufrichtung der Liberalen zur Lebensaufgabe gemacht hatte, sorgte in den ersten Monaten nach der Bundestagswahl für jene öffentliche Aufmerksamkeit, ohne die keine Partei auskommt.
Erst einmal musste sich Lindner als neuer Vorsitzender vergewissern, wie viel Überlebenswillen noch in der Partei steckte. Das war das Ziel des sogenannten Leitbildprozesses, den er im März 2014 startete. Als sich im Juni ein Viertel der Mitglieder an einer internen Umfrage zu Werten und Zielen der Partei beteiligte, konnte Lindner und der kleine Kreis um ihn herum den Schluss ziehen, dass noch genügend Leben unterhalb der Führungsebene vorhanden war.
Am Nullpunkt der politischen Existenz
Dann aber kam der 31. August 2014. An jenem Sonntag wählten die Sachsen einen neuen Landtag. Die FDP stürzte um 6,8 Prozentpunkte nach unten und verfehlte deutlich den Wiedereinzug in den Landtag. In der Folge verlor sie die letzte Regierungsbeteiligung in einem Bundesland. Damit schlossen sich ein Jahr nach den Türen des Bundestages auch die des Bundesrates für die FDP. Die Partei, die über Jahrzehnte an Bundesregierungen beteiligt war und an mehr als einem Drittel aller Landesregierungen, stand am Nullpunkt ihrer politischen Existenz. Noch heute erinnert sich Lindner an jenen Herbst, an die schlechte Berichterstattung und an Gerüchte in den Medien über seine Absetzung.
Dass es sich nur um Gerüchte handeln konnte, lag schon daran, dass immer noch niemand in Sicht war, der ihm seinen Posten hätte streitig machen können und wollen. Lindner blieb. Und nach dem Beginn einer inhaltlichen Wiederaufrichtung sorgte er für einen neuen Nimbus. Der war allerdings gar nicht so neu. Die Partei erschien in anderen Farben und ging in die Hamburger Bürgerschaftswahl mit einem Wahlkampf, der an die noch gar nicht so lange zurückliegenden Klamaukzeiten unter Guido Westerwelle erinnerte. Die junge Spitzenkandidatin Katja Suding warb mit dem Slogan „Unser Mann für Hamburg“ für sich. Suding, Generalsekretärin Nicola Beer und die Bremer Spitzenkandidatin Lencke Steiner ließen Fotos von sich machen, als wollten sie ins Modelgeschäft wechseln.
Aus Spaß wurde Ernst. Der Wahlkampf mündete zu Beginn des Jahres 2015 in Wahlerfolge in Hamburg und Bremen. Zum ersten Mal wirkten die Aussichten wieder besser, noch mehr sogar im Jahr darauf. In Baden-Württemberg, wo die FDP traditionell stark ist, kam sie auf ein Ergebnis von mehr als acht Prozent. Vor allem aber beendete sie durch ein gutes Abschneiden in Rheinland-Pfalz die Zeit ohne Regierungsbeteiligung und trat in eine Ampelkoalition mit SPD und Grünen ein. Als hätte das Schicksal nach den harten Jahren eine gütige Regie für die FDP vorgesehen, kam es im Jahr der Bundestagswahl noch besser. In Kiel wurde die FDP zum Partner in einer Jamaika-Koalition mit CDU und Grünen. Es war wie ein kleiner Test für alle Eventualitäten in Berlin. Als bisheriger Höhepunkt des Jahres entriss Lindners FDP im Mai zusammen mit der CDU den Sozialdemokraten die Macht in Nordrhein-Westfalen und wurde Teil einer schwarz-gelben Landesregierung. In einem politikwissenschaftlichen Seminar wäre ein idealerer Weg zum Wiederaufstieg wohl kaum vorstellbar.
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Dem Populismus ist Lindner nie erlegen
Programmatisch ist die FDP über die vier Jahre nüchtern geblieben. Die Grundlinie, dem Individuum so viel Freiheit wie möglich zu lassen, blieb unverändert. In der Flüchtlingspolitik hat Lindner Bundeskanzlerin Angela Merkel zwar scharf kritisiert, der Versuchung, eine Grenze zum Populismus zu überschreiten, ist er jedoch nie erlegen. Das war bekanntlich nicht immer so in der FDP. In keiner Partei dominiert derzeit eine Führungsperson derart wie Lindner. Angela Merkel ist zwar die uneingeschränkte Chefin der CDU, in der Union hat sie aber Horst Seehofer als Gegengewicht. Ob in der analogen Plakatwelt an den Straßenrändern oder im Netz: Lindner ist die FDP und die FDP ist Lindner. Je näher die Wahl rückt, desto mehr erinnert alles an die einstige Alleinherrschaft Guido Westerwelles, die Art der Selbstdarstellung eingeschlossen. Fuhr Westerwelle noch wahlweise mit dem Käfer-Cabriolet mit Merkel durch Berlin oder mit dem Guidomobil durch den Rest Deutschlands, so spricht Lindner zunehmend offen über seinen ersten Porsche und seine Begeisterung für Autos.
Da passt es hervorragend, dass in diesen Tagen ein zwanzig Jahre altes Video über den Abiturienten und Jungunternehmer Lindner im Internet verbreitet wurde. Der kleine Christian präsentierte sich dort im großen Mercedes als PR-Berater und mit einer Kuhfleckenkrawatte um den Hals. Wenn man in der Schule sitze, so sagte der Jüngling in die Kamera, statt sich um die Kunden zu kümmern, komme es einem vor, als sei die Zeit „durch den Schredder gelaufen“. Heute fordert seine Partei im Bundestagswahlkampf die „weltbeste Bildung für jeden“. Im Film läuft Lindner mit einem Aktenkoffer herum, heute plakatiert die FDP, Schulranzen veränderten die Welt, nicht Aktenkoffer. Doch das alles ficht Lindner nicht an. Auf Twitter kommentierte er das Video mit den Worten, das sei „Gründerkultur 1.0“ des Jahres 1997 gewesen. Von der Zeitschrift „Bunte“ auf den Porsche angesprochen, den er früher fuhr, verkündete er, dass Sportwagen seine Leidenschaft seien. Grundsätzlich fügte er hinzu: „Wir wollen uns nicht von Besserwissern, Moralaposteln oder Neidern dieses eine kurze Leben zum Gefängnis machen lassen.“
Sollte es nach der Bundestagswahl für eine schwarz-gelbe Mehrheit reichen, wird Lindner mit Merkel über eine Koalition verhandeln. Gut möglich, dass sich auch die Bundeskanzlerin das Video über den jungen Lindner angeschaut hat – zur Vorbereitung.