Bundestagswahl : Warten auf den Sektkorkenknall
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Merkel warnt vor „bösem Erwachen“: die Bequemlichkeit der eigenen Anhängerschaft könnte dazu führen, dass sie nicht zur Wahl zu gehen. „Es kann sein, dass man mit Rot-Rot-Grün aufwacht“ Bild: dpa
Schon vor der Bundestagswahl am 22. September werden erste Überlegungen über das künftige Bundeskabinett einer schwarz-gelben Koalition angestellt. Doch die Union sorgt sich - vor allem vor zu großer Siegesgewissheit.
Die Warnungen der CDU-Führung vor Wortbrüchen der SPD und der Aussicht eines rot-rot-grünen Bündnisses im Bund sind im Kern nicht Reaktionen auf aktuelle Äußerungen maßgeblicher Politiker von SPD und Grünen. Sie sind ein Teil der Wahlkampagne der CDU; sie sollen die Anhängerschaft aufrütteln. Schon im Frühjahr gab es intern Hinweise, mit solchen Warnungen werde erst kurz vor der Bundestagswahl operiert werden können - je nach Stand der Umfragen. Anders als bei der Bundestagswahl 1994, als unter Generalsekretär Peter Hintze die sogenannte Rote-Socken-Kampagne den CDU-Wahlkampf prägte, führe die Sache nicht zu größeren politischen Aufregungen. Zudem halten die meisten Unionspolitiker die Versicherungen von SPD und Grünen für glaubhaft, kein Koalitionsbündnis mit der Linkspartei eingehen zu wollen.
Mindestens aber sind sie der Auffassung, der Versuch eines Wortbruchs würde scheitern. Frühere Ankündigungen aber, kurz vor der Wahl „Rot-Rot-Grün“ zu thematisieren, wurden nun vollzogen. Angela Merkel, CDU-Vorsitzende und Bundeskanzlerin, begann damit in der wahrscheinlich letzten Sitzung der CDU/CSU-Bundestagsfraktion vor der Wahl. Anfang September sagte sie den Abgeordneten, sie sollten in ihrem Wahlkampf deutlich machen, den Versicherungen von SPD und Grünen dürfe nicht geglaubt werden. Sie selbst und auch ihre Stellvertreter im Parteivorsitz taten es auch am vergangenen Wochenende beim „Wahlkampfauftakt“ in Düsseldorf.
Angela Merkel nannte den Grund, der die größte (und derzeit einzige) Sorge der Spitzenpolitiker von CDU und CSU vor der Wahl ist und indirekt die eigenen Erwartungen über den Wahlausgang widerspiegelt: die Siegesgewissheit, Merkel werde Bundeskanzlerin bleiben. Es gibt die Sorge vor der Bequemlichkeit der eigenen Anhängerschaft, deshalb nicht zur Wahl zu gehen. Also sprach Merkel eine Warnung vor einem „bösen Erwachen“ aus. „Es kann sein, dass man mit Rot-Rot-Grün aufwacht.“ Die Umfragen sind entsprechend. Union und FDP auf der einen sowie SPD, Grüne und Linkspartei auf den anderen Seite teilen sich etwa hälftig die Stimmen der Parteien, die wahrscheinlich in den Bundestag kommen.
„Zweitstimme ist Merkel-Stimme“
Als weiteres mobilisierendes Element werden von der CDU-Spitze auch Hinweise auf den Ausgang der Niedersachsen-Wahl benutzt. Knapp 350 Stimmen, pflegt Merkel auf ihren Wahlkampfveranstaltungen zu rufen, hätten dort gefehlt. Es fügt sich in die Linie der Union, dass von einem knapp verpassten CDU-Sieg und nicht von dem Verlust einer schwarz-gelben Mehrheit in Niedersachsen gesprochen wird. Anders als damals im Winter, will die CDU den Eindruck von Wahlkampfhilfe für die FDP vermeiden.
„Zweitstimme ist Merkel-Stimme“ wird landauf, landab gesagt. Auch wenn sich die Unionsführung mittlerweile sicher wähnt, die FDP werde auch bei unklaren Mehrheitsverhältnissen nach der Wahl kein rot-gelb-grünes Ampelbündnis eingehen, will sie dem kleineren Koalitionspartner keine Stimme schenken. Es fällt ihr umso leichter, als es seit Wochen kaum eine Umfrage mehr gibt, die die FDP unterhalb der Fünfprozenthürde ansiedelt. Manche CDU-Politiker äußern gar die Sorge vor einem Mitleidseffekt für die FDP, falls diese bei der bayerischen Landtagswahl eine Woche vor der Bundestagswahl an der Sperrklausel scheitere. Nur Helmut Kohl wich jetzt von dieser Linie ab. Nicht bloß, dass er Philipp Rösler und Rainer Brüderle, den Partei- und den Fraktionsvorsitzenden der FDP, bei sich zu Hause empfing. Es wurden auch werbewirksame Fotos gemacht, die in der „Bild“-Zeitung veröffentlicht wurden.
Personelle Forderungen in Hessen und NRW
In Erwartung eines Erfolges werden naturgemäß erste Überlegungen über das künftige Bundeskabinett einer schwarz-gelben Koalition angestellt. Dass Wolfgang Schäuble Finanzminister bleibe, gilt in der CDU als „gesetzt“. Die „Kanzlerpartei“, heißt es, müsse auch den Bundesfinanzminister stellen. Weil die FDP mit Sicherheit nicht so gut wie 2009 (damals: 14,6 Prozent) abschneiden werde, müsse sie mindestens einen Sitz im Bundeskabinett abgeben; hier wie dort ist vom Entwicklungshilfeministerium die Rede. Ob es an die CSU - wegen deren außenpolitischen Ambitionen - gegeben wird, wie das in früheren Kabinetten Helmut Kohls der Fall war, ist ungewiss. Schon jetzt gilt die - für Landwirtschaft und Verbraucherschutz zuständige - CSU-Ministerin Ilse Aigner in der CDU als schwer ersetzbar; Aigner kandidiert für den Bayerischen Landtag.
Zwei große CDU-Landesverbände dürften zudem personelle Forderungen stellen: Hessen und Nordrhein-Westfalen. Von der aus Hessen stammenden CDU-Ministerin Kristina Schröder (zuständig für Familien, Jugend, Senioren und Frauen) heißt es, sie werde aus dem Kabinett ausscheiden. Die NRW-CDU ist seit der Entlassung von Umweltminister Norbert Röttgen nur noch mit Kanzleramtsminister Ronald Pofalla im Kabinett vertreten. Dass Pofalla Kabinettsmitglied bleibe, gilt als sicher. Falls er ein Fachressort übernehmen sollte, würde es zu einem größeren Revirement unter den Unionsministern kommen, zumal es sich im fraglichen Falle nicht um ein (vergleichsweise) unbedeutendes Ressort handeln dürfte. Prüfungen gibt es zudem, welche „Schwachstellen“ es in der Bundesregierung und bei der Aufgabenverteilung gebe; die Folgen der Energiewende und der demographische Wandel gelten als Beispiele. Doch sind die Überlegungen zur Bündelung oder Verlagerung von Kompetenzen zwischen den Bundesministerien dem Vernehmen nach längst nicht abgeschlossen.