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F.A.Z. Machtfrage : Krieg und Frieden bei den Ampel-Verhandlern

Robert Habeck im Mai 2021 in der Ukraine. Seine Forderung, der Ukraine Waffen zu liefern, musste er anschließend zurücknehmen - bis zum 24. Februar 2022. Bild: Olexandr Techynskyy

Mit Außenpolitik lässt sich kein Blumentopf gewinnen? Mag im Wahlkampf gelten – aber spätestens jetzt sollten SPD, Grüne und FDP über Nord Stream II und Erdogan reden.

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          Es ist das Privileg der Unterlegenen, unwidersprochen schimpfen zu dürfen. An dieser Stelle aber müssen wir dem CDU-Kanzlerkandidaten Armin Laschet doch mal etwas entgegensetzen. Er sagte im Interview mit der F.A.Z. kürzlich: „Es scheint sich in diesem Ampelbündnis niemand für die Außenpolitik zu interessieren.“ Und weiter: „Gerade in Verbindung mit der Klimapolitik brauchen wir eine starke Außenpolitik, die dieses Thema auch auf der ganzen Welt strategisch angeht.“

          Mona Jaeger
          Stellvertretende verantwortliche Redakteurin für Nachrichten und Politik Online.

          Ja, dazu hätte man in der Tat gerne mehr gehört im Wahlkampf. Aber warum hat Laschet es nicht selbst getan? Ein Teil der Antwort wird sein: Mit Außenpolitik lassen sich keine Bundestagswahlen gewinnen. Heißt es. Ausnahmen, wie etwa die Frage über eine deutsche Beteiligung am Irakkrieg 2002, sind nur scheinbare Ausnahmen. Denn eigentlich wurde da ja auch etwas eher Innenpolitisches verhandelt. Und die Wähler interessieren sich in der Mehrzahl wohl auch mehr für die Herausforderungen bei der Integration von Flüchtlingen in ihrer Nachbarschaft als um die Bekämpfung von Fluchtursachen.

          Für Nord Stream II: SPD-Chef Norbert Walter-Borjans
          Für Nord Stream II: SPD-Chef Norbert Walter-Borjans : Bild: dpa

          Der Wahlkampf ist nun vorbei, jetzt folgt die Politik für die Wirklichkeit. Und das heißt: Spätestens jetzt sollte die Außenpolitik auftauchen, da hat Laschet recht. Nicht nur ein Aufbruch für Deutschland ist ja gefordert, sondern in gewisser Weise befindet sich die ganze Welt im Aufbruch. Und Anlässe gibt es ja genug: die Drohgebärden des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan, die Erpressungsversuche des belarussischen Diktators Lukaschenko, Putins Gas-Geopolitik, die Versuche in EU-Staaten, demokratische Mechanismen auszuhebeln.

          Noch gibt es keinen Koalitionsvertrag der Ampel-Partner SPD, Grüne und FDP. Es wird spannend zu sehen sein, welche Rolle die Außenpolitik in ihm einnehmen wird - so die Parteien sich einig werden. Und deswegen sollte man das Sondierungspapier, die bisher einzige schriftliche Festlegung der Parteien, nicht auf die Goldwaage legen. Aber reinschauen sollte man schon, weil es erste Indizien für eine künftige Außenpolitik enthält. Außerdem gibt es einige interessante Äußerungen von Verhandlern, die aufhorchen lassen.

          Hat nur Bekanntes gesagt: Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer
          Hat nur Bekanntes gesagt: Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer : Bild: EPA

          „Deutschland stellt sich seiner globalen Verantwortung“, heißt es zur Außenpolitik, dem letzten Kapitel im Sondierungspapier. Der Koalitionsvertrag von 2017, als Union und SPD koalierten, stellte Europa noch nach vorne: erstes Kapitel, Überschrift: “Ein neuer Aufbruch für Europa”. Im aktuellen Sondierungspapier stehen einige bedeutungsschwer klingende Sätze: „Unsere Außen-, Sicherheits- und Entwicklungspolitik werden wir wertebasiert und europäischer aufstellen.“ Welche Werte das sind, wird nicht weiter ausgeführt.

          An anderer Stelle ist das Papier sogar widersprüchlich: Versprochen wird eine „restriktive Rüstungspolitik“, dann aber wird auch eine EU-Rüstungsexportverordnung in Aussicht gestellt. In der EU gibt es aber ganz unterschiedliche rüstungspolitische Interessen. Frankreich etwa sieht das deutlich lockerer als Deutschland. Wie man sich da auf eine einheitliche Linie einigen soll - fraglich.

          Außenpolitik aus dem Kanzleramt: Merkel mit Italiens Präsident Mattarella am 12. Oktober
          Außenpolitik aus dem Kanzleramt: Merkel mit Italiens Präsident Mattarella am 12. Oktober : Bild: dpa

          Die Bundeswehr soll besser ausgerüstet werden. Der Afghanistan-Einsatz soll genau unter die Lupe genommen werden, um aus ihm zu lernen. Es wird ausdrücklich von „zukünftigen deutschen Auslandseinsätzen“ gesprochen. Das Zwei-Prozent-Ziel der Nato, wonach die deutschen Verteidigungsausgaben bis 2024 deutlich steigen müssten, wird von SPD, Grünen und FDP nicht erwähnt. Weil man es nicht unterstützt? Weil man sich noch nicht geeinigt hat? Leerstellen gibt es zwischen den Parteien also offensichtlich nicht nur beim Geld. An vielen Stellen liest sich das Papier mehr wie eine Bestandsaufnahme als eine Agenda des Kommenden.

          Und es gibt Streit. Etwa bei Nord Stream II. Die SPD will die Pipeline in Betrieb nehmen, die Grünen sind dagegen, bei der FDP weiß man es nicht so genau. Annalena Baerbock, die grüne Kanzlerkandidatin und aussichtsreiche Anwärterin auf das Amt der Außenministerin, wies kürzlich nochmal darauf hin: Nach europäischem Energierecht müssen Besitz und Betrieb der Pipeline entkoppelt sein. Der Hinweis auf das geltende Recht findet sich so auch im Sondierungspapier. Eine politische Entscheidung ist damit freilich noch nicht getroffen. Der SPD-Vorsitzende Norbert Walter-Borjans sagte nämlich kürzlich nochmal, Nord Stream II solle in Betrieb gehen. Der Streit wird also auf höchster Ebene ausgetragen.

          Ein mögliches nächstes Streitthema: die nukleare Teilhabe Deutschlands. Im Sondierungspapier wird das Thema noch recht weiträumig umschifft, von Abrüstung ist die Rede. Aufs Tapet kam das Thema jetzt aber mit Wucht, weil der friedensbewegte SPD-Fraktionsvorsitzende Rolf Mützenich der noch amtierenden Verteidigungsministerin der CDU, Annegret Kramp-Karrenbauer, vorwarf, „verantwortungslose“ Gedankenspiele zum Einsatz von Nuklearwaffen in einem Konflikt mit Russland ausgesprochen zu haben. Kramp-Karrenbauer hatte gesagt, die NATO müsse gegenüber Russland “sehr deutlich machen”, dass sie auch bereit sei, Nuklearwaffen im Fall eines Falles einzusetzen. Das sei der Sinn der Abschreckungsdoktrin.

          Eine Eskalation? Kramp-Karrenbauer hat eigentlich nur Bekanntes gesagt. Abschreckung funktioniert schließlich nur, wenn der potentielle Feind weiß, dass die Gegenseite bereit ist, die Waffen einzusetzen. Das steht nicht im Gegensatz zu Rüstungskontrolle und Abrüstung, wie sie von den Ampel-Partnern auch gefordert wird.

          Wird es am Ende auf das schriftlich Festgehaltene ankommen - oder wird die Außenpolitik eh im Kanzleramt gemacht, wie es zumindest zeitweise unter Angela Merkel war? Das wird auch davon abhängen, wer Außenminister wird. Heiko Maas wird allenthalben als diplomatischer, aber nicht sehr durchsetzungsstarker Außenminister wahrgenommen. Dass er besonders wild darauf wäre, das Amt weiter auszuführen, hat er bislang nicht deutlich gemacht. Es wird also auch spannend sein zu sehen, welcher Mann oder welche Frau sich in den nächsten Tagen für das Auswärtige Amt ins Spiel bringen wird.

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