Ampel gegen Union : Schlagabtausch um die Corona-Politik
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Nicht mehr auf der Regierungsbank: Jens Spahn am Donnerstag im Plenum des Bundestags Bild: Reuters
Bevor der Bundestag dem Infektionsschutzgesetz zustimmt, werfen sich im Bundestag die alten und die wohl neuen Regierungsparteien gegenseitig Verantwortungslosigkeit vor. Blockiert die Union nun im Bundesrat?
Die Bundesregierung der großen Koalition ist noch geschäftsführend im Amt, aber am Donnerstag war im Bundestag zu beobachten, dass die Fraktionen schon in ihren neuen Rollen angekommen sind. Es ging um die Novelle des Infektionsschutzgesetzes, die am Mittag verabschiedet wurde. Bei der namentlichen Abstimmung hatten 688 Abgeordnete teilgenommen. 398 Parlamentarier stimmten für die Neuregelung, 254 waren dagegen. Es gab 36 Enthaltungen. Die drei Ampel-Parteien SPD, Grüne und FDP hatten sich für den Gesetzentwurf eingesetzt, die Unionsfraktion war dagegen und warb dafür, die Corona-Notlage zu verlängern.
SPD, Grüne und FDP wollten die epidemische Lage von nationaler Tragweite nicht verlängern, aber mit der Novelle den Ländern die Möglichkeit an die Hand geben, Maßnahmen gegen die Pandemie zu ergreifen. Ihnen soll damit zwar nicht mehr der komplette Instrumentenkasten der pandemischen zur Verfügung stehen. Erweitert wird der bisherige Katalog allerdings durch eine Rechtsgrundlage für 2-G- und 3-G-Konzepte.
Trotz der rapide steigenden Infektionszahlen haben die Ampel-Parteien ihren Weg in der Bundestagsdebatte noch einmal verteidigt. „Wir sorgen für Rechtssicherheit und schützen die Menschen, die am verletzlichsten sind“, sagte die SPD-Gesundheitspolitikerin Sabine Dittmar. Die Union hält diesen Schritt für einen Fehler. Die unionsgeführten Länder drohten damit, dem Gesetzentwurf bei der Bundesratssitzung am Freitag nicht zuzustimmen. Und so warfen sich im Bundestag beide Seiten vor, ihrer jeweiligen Verantwortung für die Lage im Land nicht gerecht zu werden, Parteipolitik zu betreiben. Es ging um Fehler der Vergangenheit, um die Verantwortung der alten Regierung, der ja auch die SPD angehörte und um die Frage, welche Fraktion in der Vergangenheit aus welchen Gründen für oder gegen die Verlängerung der epidemischen Lage gestimmt hatte.
Doch es gab den einen Moment, an dem nicht hin- und hergeschossen wurde, in dem ein echtes Gespräch entstand. Jens Spahn, der geschäftsführende Bundesgesundheitsminister der CDU hatte sich zu Wort gemeldet. Sein Name war in der Debatte mehrmals gefallen, er selbst hatte sich noch Ende Oktober dafür ausgesprochen, die epidemische Lage nicht zu verlängern. Für eine Kurzintervention hatte Spahn sich von der Regierungsbank in die Reihen der Fraktion gegeben. Die Lage sei ernster als je zuvor in der Pandemie, sagte er. Und es sei schwierig für eine geschäftsführende Regierung mit gleichzeitig einer werdenden neuen Mehrheit. Er habe der Ampel verschiedene Wege vorgeschlagen, die drei Parteien hätten sich anders entscheiden. Das könnten sie natürlich tun, so Spahn. „Aber dann nehmen Sie nicht jemanden anders als Punchball, davon kann ich Ihnen keine Entlastung geben. Es ist Ihr Weg.“
Manuela Rottmann, Rechtspolitikerin der Grünen, antwortete nicht mit neuen Vorwürfen, sondern bot der Union Gespräche an. „Kommen Sie auf uns zu, wir reden gerne weiter.“ Schon im Hauptausschuss sei man zu Änderungen bereit gewesen. Sie forderte die Unionsfraktion auf, genau zu benennen, welche Maßnahmen noch fehlten.
Tatsächlich hatten die Ampel-Parteien den Gesetzentwurf nach der ersten Lesung noch maßgeblich verändert. Sie hatten zunächst vorgehabt, bis zum 19. März des kommenden Jahres nur noch einige wenige Auflagen wie Maskenpflicht, Abstandsgebot und 2-G- oder 3-G-Konzepte zuzulassen. Kontaktbeschränkungen auch für Ungeimpfte sollen nach der ursprünglichen Fassung nicht möglich sein. Nun können weiter etwa Kultur- und Freizeitveranstaltungen sowie Sportveranstaltungen untersagt werden und Auflagen für Versammlungen verhängt werden. Auch die Länderöffnungsklausel soll nun erhalten bleiben. Ausgeschlossen sollen künftig allerdings die Maßnahmen sein, die besonders tief in Grundrechte eingreifen.
So ist vorgesehen, dass künftig Ausgangsbeschränkungen nicht mehr verhängt werden können, Sportveranstaltungen können untersagt werden, nicht aber die Sportausübung als solche. Auch Veranstaltungen und Versammlungen sowie Gottesdienste dürfen nicht mehr verboten werden. Ebenso sind Reiseverbote, die Schließung von Hotels, Restaurants, Geschäften des Groß- und Einzelhandels aus dem Katalog herausgenommen worden. Die pauschale Schließung von Schulen und Kitas ist Geschichte.
Aus Sicht der Union ist es ein Problem, dass diese Maßnahmen künftig nicht mehr möglich sein sollen. „Die Zahlen gehen hoch, Sie reduzieren die Maßnahmen“, sagte der CSU-Politiker Stephan Stracke und sprach von einem „ersten Fehler“ der Ampel. Die drei Parteien hätten sich „komplett verrannt“. Die Grünen-Fraktionsvorsitzende Katrin Göring-Eckardt bemühte sich zu begründen, warum ihre Fraktion an der Linie festhält, dass es nun neue Maßnahmen geben müsse: „Bei Zweidrittel der Geimpften kann man nicht handeln wie als der Impfstoff noch nicht mal für die über 70-Jährigen reichte.“
Thorsten Frei, stellvertretender Vorsitzender der Unionsfraktion hielt dagegen, dass der bisherige Rechtsrahmen gut gewesen sei, dass das Argument der Rechtsunsicherheit nicht stimme. „Wo sind denn unsere Regelungen angegriffen worden?“, fragte er, es seien nur Einzelfälle gewesen, in denen es Probleme bei Verordnungen gegeben habe. „Bauen Sie keine potemkinschen Dörfer“, rief er an die Adresse der Ampel.
Marco Buschmann, Parlamentarischer Geschäftsführer der FDP, wandte sich gegen den Vorwurf, mit der Beendigung der epidemischen Lage werde das falsche Signal gesendet: Der Name sei nicht relevant, es komme auf die konkreten Maßnahmen an und darunter sei auch etwa das „scharfe Schwert“ der Kontaktbeschränkungen, das viele in der FDP gerne gestrichen hätten. „Corona ist nicht vorbei und war nicht vorbei. Das haben wir nie anders gesagt“, sagte Buschmann. Er hatte allerdings Ende Oktober noch davon gesprochen, dass es vom 20. März an überhaupt keine Einschränkungen mehr geben werde.
Jan-Marco Luczak, Rechtspolitiker der Unionsfraktion, ging am Ende der Debatte noch mal auf das Gesprächsangebot ein. Man sei sofort bereit, in der kommenden Woche zu einer Sondersitzung zusammenzukommen und schnell einen Vermittlungsausschuss einzusetzen. Allerdings läuft die epidemische Lage am 25. November aus. Die Hoffnung der Ampel-Parteien ist daher, dass man noch bis zur Bundesratssitzung am Freitag eine Lösung findet.