Bundestagswahl : Kein abgeklärter Abschied: Grünen-Abgeordnete auf Arbeitssuche
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Andrea Fischer arbeitet für drei Monate an der Uni von Toronto Bild: dpa
Wie sieht die Zukunft der Grünen-Abgeordneten Ströbele, Beer, Metzger und Lemke nach dem 22. September aus?
Kommunikationsstarke, äußerst medienerfahrene Führungspersönlichkeit mit abgebrochenem Jura-Studium, Verwaltungserfahrung und fundierten Finanz-Kenntnissen sucht zum 1. Oktober einen neuen Job. Seit dem 13. April weiß Oswald Metzger, haushaltspolitischer Sprecher der Grünen, dass er sein Abgeordnetenbüro in der Hauptstadt räumen muss. Damals verweigerten ihm die baden-württembergischen Grünen einen sicheren Listenplatz für die Bundestagswahl. Wie andere vermutlich bald mandatslose Grüne ist Metzger dabei, die beruflichen Weichen neu zu stellen. Die Zukunft von Christian Ströbele, Angelika Beer und Steffi Lemke ist ebenfalls offen. Einzig Andrea Fischer weiß schon, dass sie zunächst als Gastdozentin in Toronto arbeiten wird.
Von einem Ausstieg aus der Politik oder gar einem Rückzug ins Private will Hans-Christian Ströbele nichts wissen. Der Altlinke, Jahrgang 1939, befindet sich mitten im Wahlkampf - um Erststimmen. So ist Ströbele. Während manche seiner Altersgenossen vom Ruhesitz in der Toskana träumen, bewirbt sich der ehemalige Strafverteidiger im Wahlkreis Friedrichshain/Kreuzberg/Prenzlauer Berg um ein Direktmandat. Wer sich zur Politik berufen fühlt, findet sich nicht damit ab, keinen aussichtsreichen Platz auf der Berliner Landesliste ergattert zu haben. Notfalls geht der Grüne eben Klinkenputzen.
Angelika Beer ist nicht nachtragend
Andere tun sich ebenso schwer mit einem abgeklärten Abschied. Steffi Lemke, Parlamentarische Geschäftsführerin der Grünen-Fraktion, denkt ebenfalls darüber danach, eine Direktkandidatur anzutreten - weil sie darum gebeten wurde. „Auf Bundesebene habe ich breite Unterstützung erfahren, zum Beispiel durch Renate Künast und Rezzo Schlauch“, sagt die 34-Jährige.
Und weil „Grün mehr Gewicht haben“ muss, entschied sich auch die grüne Wehrfachfrau Angelika Beer dafür, diesen unbequemen und unsicheren Weg einzuschlagen. Sie will den Wahlkreis Plön/Neumünster direkt erobern. Bereits seit zwei Legislaturperioden im Bundestag, hätte Beer im Landesverband Schleswig-Holstein eine Zweidrittelmehrheit gebraucht, um überhaupt in den Listenplatz-Wettstreit eintreten zu dürfen. Die verfehlte die 44-Jährige knapp.
So schonungslos die Grünen zwischen den Meeren mit der gelernten Rechtsanwalts- und Notarsgehilfin umgegangen sind, so wenig trägt sie es ihrer Partei nach: Angelika Beer nimmt im Wahlkampf mehrere überregionale Termine für die Grünen wahr. Ihr Parteikollege aus dem Südwesten, Oswald Metzger, unterstützt dagegen ausschließlich seinen Kreisverband. Alle anderen Anfragen lehnt der Haushaltsexperte rigoros ab.
Wechsel in die Wirtschaft mitunter schwierig
Das liegt in der Natur der Männerfeindschaft zwischen ihm und dem Parteivorsitzenden Fritz Kuhn. Dass Kuhn ihm einen sicheren Listenplatz wegschnappte, kann Metzger nicht verzeihen. Umso selbstbewusster versichert der Bad Schussenrieder: „Ein Oswald Metzger wird am Ende der Legislaturperiode nicht auf der Straße stehen.“ Aber allen guten Bewerbungsqualitäten wie Souveränität, Führungsstärke und Fachwissen zum Trotz: In Deutschland ist der Wechsel von der Politik in die Wirtschaft offensichtlich komplizierter als in manchen anderen Staaten.
Andrea Fischer wird Gastdozentin in Toronto
Wenn am 22. September um 18 Uhr die Wahllokale schließen, weiß allein eine Grüne von bundespolitischem Gewicht schon sicher, dass sie die ersten Hochrechnungen nicht im heimatlichen Berlin oder in ARD und ZDF verfolgen wird - sondern aus der Ferne im Internet. Am 1. September zieht Andrea Fischer für drei Monate nach Toronto. Dort wird sie am Kanadischen Zentrum für Deutsche und Europäische Studien als Gastdozentin über Gentechnik referieren. „Es ist mir ein Vergnügen, wieder wissenschaftlich arbeiten zu können“, sagt die 42-Jährige. Wohlgemerkt: als Kür-Programm - „bevor ich wieder ganz normal Geld verdiene“.
„Keine Lobbyarbeit für Pharmafirmen“
Fischer findet es spannend, einmal von außen auf die Gentechnik-Debatte in Deutschland zu blicken und die Regelungen in den beiden Staaten zu vergleichen. Gut möglich, dass auf diesen Lehrauftrag weitere folgen werden. Oder ein Angebot aus dem sozialpolitischen Bereich. Nur eines steht felsenfest: Direkter Lobbyismus im Gesundheitswesen kommt für die ehemalige Ministerin nicht in Frage. Dass dies anrüchig wäre, haben Verbände und Pharmafirmen offensichtlich begriffen: Bisher bekam Fischer kein unanständiges Angebot.
„Es ist ohnehin nicht so, dass Headhunter einen mit Angeboten überschütten“, sagt Fischer, die zwar gelassen klingt, aber traurig Abschied nimmt. Den meisten Berufen fehle etwas von dem breiten Spektrum, das die Politik biete, räumt sie ein. Klingt das nicht sehr nach einer Rückkehr in vier Jahren? Fischer lacht. „Wenn ich weiß, wo es mich beruflich hinführt, entscheide ich, ob ich mich weiter politisch engagiere.“ Zuerst wolle sie Angebote genau sondieren, bevor sie sich „mit ganzem Herzen“ einer neuen Aufgaben widme. Oder wie es Steffi Lemke formuliert: „Einen neuen, vergleichbaren Job findet man nun einmal nicht in fünf Wochen.“