Joachim Gauck im Porträt : Der Verdiente
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Alternative zum etablierten System: Gauck denkt über den Mittwoch hinaus Bild: ©Helmut Fricke
Der Kandidat der SPD und der Grünen für das Amt des Bundespräsidenten genießt die Rolle des Außenseiters: Joachim Gauck baut sich zwar als Alternative zum etablierten System auf, sein Verhältnis zur Parteipolitik ist jedoch ein ambivalentes.
Das Licht ist gedämpft, und die Luft wird allmählich stickig in der Halle des einstigen Wasserversorgungswerks im Berliner Osten. Es ist schwer zu erkennen, ob es Joachim Gauck nicht doch etwas mulmig wird angesichts der überschwänglichen Ergebenheitsadressen. „Der Gute in diesem Film sind Sie“, sagt gerade der Schriftsteller Bastian Sick von der Bühne herab über den Mann, den SPD und Grüne als ihren Kandidaten für das Amt des Bundespräsidenten benannt haben. „Ich wünsche mir für das höchste Staatsamt den Mann, der es verdient hat.“

Politischer Korrespondent für Nordamerika mit Sitz in Washington.

Politischer Korrespondent mit Sitz in Wien.
Verdient – das ist die wahrscheinlich treffendste Zusammenfassung der Stimmung an diesem Freitagabend auf der Veranstaltung, die die Ausrichter „Bürgerfest für Joachim Gauck“ genannt haben: Nicht „der andere“ habe das Präsidentenamt „verdient“ und mithin nicht die Parteien, sondern er, Gauck, und mit ihm „wir“, die „Bürger“, jedenfalls die hier anwesenden. Durchs Programm führt Christoph Griesa, der Mann, der eine Internetbewegung für Joachim Gauck ins Leben gerufen hat, der nach seinen Angaben schon 35.000 Leute angehören: fast schon die Größenordung einer Partei. Gauck denkt über diesen Mittwoch hinaus – „wenn die Personalie Gauck erledigt ist, so oder so“.
Was soll dann bleiben von dieser Bewegung, wenn nicht bloß noch weitere Parteien- und Politikverdrossenheit? Gauck nennt sie eine „Suchbewegung“. In seiner kurzen Ansprache an seine Unterstützer auf dem „Bürgerfest“ baut er sich selbst zwar als Alternative zu dem etablierten System auf. „Bürgerinnen und Bürger: Wir machen den Staat.“ Aber er will doch auch die bestehenden Institutionen gewürdigt wissen, die einen vielleicht manchmal „ärgern“, aber doch sechzig Jahre lang dort, wo ihre Regeln gegolten haben, Recht, Wohlstand und Frieden gesichert hätten. Von den Parteien spricht er freilich nicht ausdrücklich; bloß von den „Politischen“, denen er etwas herablassend zugesteht, dass man ihren „Sachverstand“ benötige.
„Ich würde sie wählen, wenn ich könnte“
Wer hat Joachim Gauck als Präsidentschaftskandidaten „erfunden“? Jürgen Trittin, einer der beiden Grünen-Fraktionsvorsitzenden, widerspricht der hier und da publizierten Annahme nicht, dass der politische Coup auf ihn zurückgehe. Mit ihm telefonierten die – ebenfalls niedersächsischen – SPD-Granden Gabriel und Steinmeier. Allerdings ist bei den Grünen auch die andere Version zu hören, wonach Trittin von der anderen Fraktionsvorsitzenden Renate Künast sowie der aus Sachsen-Anhalt stammenden Bundesgeschäftsführerin Steffi Lemke habe beredet werden müssen, dem Vorschlag Gauck zuzustimmen. Dass Gauck bei den Grünen zur Debatte stehen würde, lag jedenfalls nahe, schon im vergangenen Jahr hatten die Grünen erwogen, ihn zu fragen, ob er als ihr Kandidat zur Verfügung stehe.
Damals, 2009, kam die Anregung von Andreas Schulze. Der undogmatische Grüne aus dem Osten Berlins war einst Pressesprecher Künasts, später sprach er für die Gauck-Behörde. Jetzt ist er einer der Sprecher des Präsidentschaftskandidaten und organisiert den Terminkalender des Mannes, der sich knapp einen Monat im Ausnahmezustand befand. Gauck verlebt fremdgesteuerte Tage eines Predigers, der auf die Reise geschickt wurde.