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Briefe : Leserbriefe vom 23. Oktober 2021

  • Aktualisiert am

Zieht sich vorzeitig von der Bundesbank-Spitze zurück: Jens Weidmann Bild: Reuters

Rücktritt Jens Weidmann (I) +++ Rücktritt Jens Weidmann (II) +++ Wahldebakel CDU +++ Olav Hackstein +++ Kids

          5 Min.

          Weidmanns Rücktritt (I)

          Gerald Braunberger sieht mit dem Rücktritt von Jens Weidmann als Bundesbankpräsident zu Recht „das Ende einer Ära“ (F.A.Z. vom 21. Oktober) gekommen, allerdings nicht mit der richtigen Begründung. Seine Analyse iteriert die unter „euroskeptischen“ deutschen Volkswirten und wohl auch in der Bundesbank selbst weit verbreitete Erzählung, wonach es ein „traditionelles deutsches Verständnis“ von Geldpolitik mit einem Fokus auf der Eindämmung der Inflation und der Wahrung der Unabhängigkeit von der Finanzpolitik gebe, das sich jedoch in der Europäischen Zentralbank (EZB) nicht durchgesetzt habe, weil „Länder [. . .], die daran inter­essiert sind, dass die Zentralbank ihre Anleihen kauft“, dem weniger stabilitätsorientierten „amerikanischen“ Verständnis anhingen. Als Beleg gelten ihren Anhängern die EZB-Programme zum Kauf von Staatsanleihen am Sekundärmarkt und die (vermeintliche) Nie­drigzinspolitik. Den wichtigsten Beleg für eine mangelhafte Stabilitätsorientierung der EZB müssen sie allerdings seit Jahren schuldig bleiben: Seit die Verantwortung für die Geldpolitik 1999 von der Bundesbank auf die EZB übergegangen ist, lag die Inflation in Deutschland mit 1,5 Prozent pro Jahr nicht nur unter der von ihr angestrebten Obergrenze von zwei Prozent, sondern auch deutlich unter der durchschnittlichen Inflation der Jahre 1973 bis 1998, der Zeit, in der die Bundesbank eine unabhängige Geldpolitik betrieb. Die vorübergehenden, Corona geschuldeten Preissteigerungen am aktuellen Rand ändern nichts an dem Urteil, dass die EZB in den vergangenen fast 22 Jahren Inflationsgefahren keinesfalls weniger entschieden entgegengetreten ist als zuvor die Bundesbank. Warum „Anhänger einer stabilitätsorientierten Geldpolitik“ Jens Weidmanns Rückzug aus Bundesbank und EZB-Rat als „Alarmsignal“ werten sollten, ist insofern unklar.
          Tatsächlich könnte Weidmanns Schritt sogar genau das Gegenteil bedeuten. Nicht umsonst schreibt er in seinem Rücktrittsgesuch, dass es nach zehn Jahren an der Zeit sei, „ein neues Kapitel aufzuschlagen, für die Bundesbank“ (und für ihn selbst). Dies tut in der Tat not. Denn der Rücktritt ihres sympathischen und hochkompetenten Präsidenten ist in erster Linie Ausdruck eines Versagens der Institution Bundesbank in den Jahren seiner Amtszeit. Gerald Braunberger sieht diese zehn Jahre korrekt als eigenständige Epoche in der Geschichte der EZB. Sie begann mit dem Rücktritt von Weidmanns Vorgänger Axel Weber und wurde orches­triert vom Rücktritt des Bundesbank-Urgesteins Jürgen Stark vom Posten des EZB-Chefvolkswirts noch im selben Jahr. Hintergrund war in beiden Fällen der in der Bundesbank als Tabubruch empfundene Ankauf von Anleihen hoch verschuldeter Euroländer durch die EZB im Rahmen der „Rettungspolitik“, die sie nicht länger mit verantworten wollten. Sprach man in dieser Zeit mit Mitarbeitern der Bundesbank, war zuweilen vom „Verrat“ die Rede, den EZB-Präsident Jean-Claude Trichet damit 2010 an den Deutschen begangen habe; nicht wenige waren persönlich beleidigt. Zwar konnte die Bundesbank als Institution es Weber und Stark nicht formal gleichtun, inhaltlich setzte deren Haltung gleichwohl den Ton für die kommenden zehn Jahre.

          Natürlich sagte Jens Weidmann bei Weitem nicht „Nein zu allem“, wie Trichet-Nachfolger Mario Draghi es einmal formulierte. Die Bundesbank wurde aber in seiner Amtszeit nicht als aktiver Gestalter der geldpolitischen Diskussion wahrgenommen, der für seine Überzeugungen wirbt, aber auch die übrigen Meinungen ernst nimmt, sondern in erster Linie als Bremser. Fachliche Vorschläge dazu, wie die EZB die Bedrohung der Finanzstabilität durch die Kapitalflucht aus den hoch verschuldeten Euroländern anders als durch Draghis „What ever it takes“-Zusicherung hätte abwenden können, blieben ebenso aus wie solche dazu, wie dem durch den demographischen Wandel getriebenen Rückgang des stabilitätsgerechten Zinsniveaus unter die Nulllinie anders als durch Niedrigzinsen und den Kauf von Staatsanleihen am Sekundärmarkt begegnet werden sollte.
          Mit dem Rücktritt von Jens Weidmann besteht nun die Chance, die Bundesbank im EZB-Rat aus der „Schmollecke“ herauszuholen und zum ernstzunehmenden Gesprächspartner und Gestalter zu machen. Ein solcher Gesprächspartner würde sicherlich nicht zwischen einem „traditionellen deutschen“ und einem „amerikanischen“ Verständnis von Geldpolitik unterscheiden. Darüber müsste und sollte er aber seine über Jahrzehnte erworbene DNA der Stabilitätsorientierung nicht verleugnen. Isabel Schnabel macht im EZB-Direktorium seit knapp zwei Jahren vor, wie das gehen kann. Ohne einen Kulturwandel in der Institution Bundesbank wird es aber wohl nicht gehen. Carsten-Patrick Meier, Kiel

           

          Weidmanns Rücktritt (II)

          Zu „Das Ende einer Ära“ (F.A.Z. vom 21. Oktober): Wenn Jens Weidmann vorzeitig, meines Wissens immerhin sechs Jahre vor dem regulären Vertragsende, um seine Entlassung bittet, so mag das verwundern. Als aufmerksamer Beobachter der EZB und deren „Maßnahmen“ ist man eher verwundert, dass Jens Weidmann so lange „durchgehalten“ hat.
          So wie die Rücktritte deutscher Mitglieder der EZB seit 2011 zur „Tradition“ geworden sind (Axel Weber, Jürgen Stark, Jörg Asmussen, Sabine Lautenschläger – und jetzt Jens Weidmann), sind auch die Tabubrüche der EZB von der Ausnahme längst zur Regel und damit zum Dauerzustand geworden. Die nahezu unbegrenzte Macht der EZB – als sozusagen vor die demokratische Klammer gezogene völlig autonome Behörde – korrespondiert mit dem dafür engen Mandat. Nach den EU-Verträgen bezieht sich dieses Mandat auf stabiles Geld nach dem traditionellen Stabilitätsbegriff also Preisniveaustabilität (s. Art. 119, Abs. 2 und Art. 127, Abs. 1 AEUV). Die EZB ist also nach den Verträgen weder dafür zuständig noch ermächtigt, (einzelne) Staaten zu finanzieren, die Erwartungen der Finanzmärkte zu erfüllen und/oder gar das Weltklima zu retten.
          Es genügen rudimentäre Kenntnisse der Geld- und Währungsgeschichte, um bei einer Vorgehensweise wie der EZB die Gefahr zu erkennen, dass derartige Maßnahmen die EZB in ein konträres Verhältnis zum eigentlichen Mandat (stabiler Geldwert) führen können – und aller Wahrscheinlichkeit führen werden. Nach meiner bescheidenen Meinung ist es daher mehr als verständlich, wenn nunmehr ein äußerst kompetenter Kopf und hoch anerkannter Notenbanker wie Jens Weidmann diesen Weg einer immer mehr politisierten EZB nicht mehr weiter mitgehen will und kann. Für alle Bürger, die auf stabiles Geld angewiesen sind (Stichwort: Altersvorsorge, um nur ein Beispiel zu nennen), ist das keine gute Nachricht sondern eher ein (weiteres) Alarmsignal. Bernd F. Schuck, Taunusstein

          Merkels Verantwortung

          Die Noblesse, mit welcher Armin Laschet Schuldzuweisungen einsteckt, die andere verursacht haben, ehrt ihn. Ich gab aus Ärger über die Vorgänge – politisch fremdgehend – mit voller Absicht ihm meine Stimme. Den Totalschaden seiner Partei hat nicht er verursacht. Prügel verdienten andere. Berthold Kohler hat als Erster die bittere Wahrheit über das Wahldebakel der CDU ausgesprochen (F.A.Z. vom 12. Oktober): Politische Programmatik wurde gefährlich lange durch Pragmatik ersetzt.
          Politisch fragwürdige, autokratisch getroffene Entscheidungen wurden als alternativlos deklariert. Personelle Fehlentscheidungen. Muss man die Namen nennen? Die vorschnelle, aber opportune Aufgabe von Grundpositionen, welche die Stammwähler verschreckt haben, muss man sie aufzählen? Wann bekennt die allseits gelobte Kanzlerin sich zu ihrer Verantwortung? Dr. Anne Stephan-Chlustin,Wiesbaden

           

          Balsam für die Seele

          Der Artikel von Herrn Professor Olav Hackstein „Grammatik im Fegefeuer“ (F.A.Z. vom 18. Oktober) ist Balsam für die gequälte Sprachseele! Aber nicht nur die Grammatik ist dem Fegefeuer ausgesetzt, auch die sogenannte Hochsprache, die dem Jargon geopfert wird (klauen statt stehlen, Klamotten statt Kleidung et cetera). Ein Rettungsring für unsere wundervolle Sprache! Ruth Mahr, Berlin

           

          Alles für Kids

          Die Überschrift „Klimarisiken für Kids“ (F.A.Z. vom 29. September) ist entweder bösartig gemein oder erschreckend unüberlegt. Ich ärgere mich sehr dar­über. „Kids“ ist ein Wort, das gelernt als Begleiter eines spannenden Angebots für Kinder eingesetzt wird: Musik für Kids, Programme für Kids, Camps für Kids. Dies aufzunehmen und somit Klimarisiken subtil als ein interessantes Angebot für Kinder anzuteasen ist bösartig. Bitte werden Sie sensibler. Barbara Maser, Hamburg

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