: Leserbriefe vom 7. Januar 2022
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Zu billig? Eine Wursttheke in Mittelhessen Bild: F.A.Z.
Verbraucherpreise +++ Datenschutz +++ Begnadigung Park Geun-hye
Die Verbraucher sind mitverantwortlich
Zu „Von wegen ‚Ramsch‘“ von Corinna Budras in der F.A.Z. vom 27. Dezember: Über die Preise entscheiden, bestimmen die Verbraucher. Solange sie nicht bereit sind, mehr zu bezahlen, können die Landwirte nicht für bessere/gesündere Lebensmittel sorgen. Die Verbraucher sind also mitverantwortlich für die Lebensmittelqualität. Das heißt, die Verbraucher müssen ihr Einkaufsverhalten – und gegebenenfalls ihre Essgewohnheiten – ändern, um den Landwirten endlich ein vernünftiges Einkommen zuzubilligen, das auch die für die Erzeugung höherwertiger Lebensmittel erforderlichen Investitionen ermöglicht.
Nur so lässt sich der jahrzehntelange Trend der Betriebsschließungen verringern. Nur so ist eine weitgehende regionale Selbstversorgung mit Lebensmitteln möglich, was auch dem Umweltschutz förderlich ist. Für Menschen mit geringem Einkommen sollten Hilfsmaßnahmen ergriffen werden.
Gesundheitsschädigende Lebensmittel belasten auf Dauer die Leistungsfähigkeit, die Lebensqualität und -dauer der Verbraucher. Sie erhöhen die Kosten der Krankenkassen. Wenn man, was volkswirtschaftlich richtig ist, zu den Ramschpreisen von Lebensmitteln die durch mangelhafte Lebensmittelqualität verursachten Krankheitskosten hinzurechnet, werden aus Ramschpreisen erheblich höhere Preise. Ist das „gesund“? Also agiert Cem Özdemir im Gesamtinteresse. Das sollte respektiert und begrüßt werden. Dietrich Thomas, München
Personalisierte Kost in der Kantine
Jasper von Altenbockum beschreibt den Datenschutz in seinem Leitartikel (F.A.Z. vom 4. Januar) „Der heilige Datenschutz“ als „Klotz am Bein unserer Freiheit“. Wie aber wäre es um unsere Freiheit bestellt, gäbe es diesen „Klotz“ nicht? Würden die Kontakte mit der Corona-App wirklich lückenlos ohne Zeitverzug verfolgt? Gäbe es das bundesweite Impfregister, das alle relevanten Daten aller Bürger enthielte? Wären das Gesundheitswesen und die öffentliche Verwaltung ein Hort der Digitalisierung? Mitnichten. Das Versagen des Staates in diesen Bereichen ist eine Summe aus Unwillen, Unkenntnis und Unvermögen, die vorhandenen Möglichkeiten zu nutzen. Der Datenschutz ist das Feigenblatt.
Wie sähe ein beispielhafter Tag in Deutschland ohne datenschutzrechtliche Regeln aus? Begleiten wir unseren Arbeitnehmer: Pünktlich zum Frühstück kommt die Werbung zu Frühstückscerealien an. Der Kauf gestern war ja bargeldlos bezahlt worden. Der Supermarkt hat sich die Anschrift des Kunden bei der kontoführenden Bank besorgt und schickt nun weitere Werbung für Müsli. Der Weg zur Arbeit wird, da eine Corona-App genutzt wird, getrackt und an einen zentralen Server gesendet, der die Daten zwecks Kontaktnachverfolgung zeitlich unbegrenzt speichert, man kann ja nie wissen. Am Werkstor erkennt der Arbeitgeber durch das Autorisieren mit dem Werksausweis, dass unser Arbeitnehmer nach dreiwöchiger Abwesenheit den ersten Tag wieder anwesend ist. Er war arbeitsunfähig krankgeschrieben. Sein Vorgesetzter weiß auch, warum, und bittet zu einem Gespräch.
Durch die digitale Revolution im Gesundheitswesen kann der Arbeitgeber auch auf Gesundheitsdaten zugreifen und sie nutzen. Zum Beispiel um in der Kantine für ein personalisiertes Speisenangebot zu sorgen („Nach dieser Krankheit viel Gemüse und wenig Fleisch“). Aber auch für die Absage auf die interne Bewerbung, der aufgrund einer ungünstigen Gesundheitsprognose nicht entsprochen werden kann. Am Nachmittag meldet sich der schulpflichtige Sohn des Arbeitnehmers mit der Frage, wie er eine Mail aus den USA beantworten soll, in der um weitere Bilder der Klassenfeier gebeten wird. Bilder, die während des Homeschoolings in einer Videokonferenz hochgeladen wurden. Genug, lassen wir unseren Arbeitnehmer seinen Arbeitstag beschließen. Ohne einen wirksamen Datenschutz. Und ohne sein Recht auf informationelle Selbstbestimmung. Datenschutz ist ein komplexes Regelwerk in einer komplexen Welt. Nutzen wir die Möglichkeiten, die er bietet, und hören wir auf, ihn als Feigenblatt für das eigene Versagen zu missbrauchen. Regina Körnicke, Ispringen
Fatale Schlussstrichmentalität
Dass der südkoreanische sozialliberale Präsident Moon Jae-in seine rechtskonservative Vorgängerin Park Geun-hye zum Jahresende begnadigt hat (F.A.Z. vom 24. Dezember), ist in erster Linie der Versuch, Stimmung zu machen vor den im März anstehenden Präsidentschaftswahlen Südkoreas. Neben den noch ausstehenden 16 Jahren Haft werden Park damit auch die rund 16 Millionen Euro Geldstrafe erlassen. Mit dieser großzügigen Versöhnungsgeste sollen rechtskonservative Stimmen gewonnen werden und/oder soll das rechtskonservative Lager gespalten werden.
Natürlich dementiert das Büro des Präsidenten jegliche politische Motivation und verweist auf Moons Begründung: Das Alter Parks von knapp 70 Jahren und ihr schlechter gesundheitlicher Zustand seien Grund für die Begnadigung sowie angesichts der großen Herausforderungen der Gegenwart die Notwendigkeit, in gesellschaftlicher Eintracht zusammenzurücken. Deshalb müsse man die schmerzhaften Konflikte der Vergangenheit hinter sich lassen, einen Schlussstrich ziehen und nach vorne schauen.
Es ist bezeichnend, dass Moon damit einer Argumentationslinie Vorschub leistet, die so bereits seit geraumer Zeit in Leitartikeln rechtskonservativer Medien herumgeisterte. Allein der explizite Verweis auf gesellschaftliche Versöhnung ist ein Indiz dafür, dass Moon sich mit seinem Gnadenakt auf Linie mit dem früheren sozialliberalen Präsidenten Kim Dae-jung sieht. Der hatte nämlich während seines Präsidentschaftswahlkampfes Ende 1997 die Begnadigung der zwei ehemaligen Autokraten Chun Doo-hwan und Roh Tae-woo, auch bekannt unter der Bezeichnung „Schlächter von Gwangju“, versprochen und später auch dafür gesorgt.
Auch damals ging es eigentlich um die Sicherung von entscheidenden Stimmen aus dem rechtskonservativen Lager. Auch hier war die Rechtfertigung die Notwendigkeit des gesellschaftlichen Zusammenrückens während der Asienkrise, was Kim mit seiner viel beachteten Geste der Vergebung und seinem Aufruf zur Versöhnung befördern wollte – unter anderem inspiriert vom Modell der restorative justice in Südafrika. Dem äußerst knappen Wahlsieg Kims (1,6 Prozent Stimmenunterschied) mag dies tatsächlich zuträglich gewesen sein; die gesellschaftliche Eintracht jedoch war, wenn überhaupt, ein Strohfeuer. Denn mit dem Amtsantritt dieses ersten sozialliberalen Präsidenten in Südkorea begann sich eine politische Polarisierung überhaupt erst herauszubilden, die sich bis heute erhalten hat.
Wie sich die Begnadigung Parks auswirken wird, bleibt abzuwarten, dass sie nun überhaupt wieder eine Rolle spielen soll, ist der eigentliche Skandal. Positive Effekte für die Überwindung der politischen Gräben zu erwarten wäre jedenfalls naiv. Vor allem weil damals bei Chun und Roh wie heute bei Park wichtige Bausteine der restorative justice fehlen – die aktive Mithilfe der Täter bei der Wahrheitsfindung, die Reue für das Verbrechen und eine Entschuldigung an die Opfer. Park war nicht nur während ihrer Verfahren wenig kooperativ gegenüber der Staatsanwaltschaft und boykottierte die meisten ihrer Gerichtsverhandlungen, sondern sie beteuert bis heute ihre Unschuld, wie gerade wieder in ihrem kürzlich erschienenen Gefängnistagebuch. Nach strafrechtlicher Auffassung ist weder ein Geständnis noch Reue oder eine Entschuldigung für eine Begnadigung notwendig, für den Effekt wiederherstellender Gerechtigkeit ist dies jedoch entscheidend.
Tragisch dabei ist, dass es genau dieser Kernanspruch ist, den sozialliberal geführte Regierungen bei der Aufarbeitung der Diktaturgeschichte in Südkorea sowie bei den Verbrechen, die Japan während der Kolonialzeit und des Zweiten Weltkrieges an Koreanerinnen und Koreanern begangen hat, immer wieder geltend machen. Und es ist bitter für die Demokratinnen und Demokraten in Südkorea, die damals monatelang friedlich für den Rücktritt Parks demonstriert hatten, um das Parlament dazu zu bewegen, eine Amtsenthebung einzuleiten. Für ihren Erfolg haben sie 2017 den Menschenrechtspreis der Friedrich-Ebert-Stiftung erhalten, und Südkorea wurde international gefeiert als ein Vorbild für eine lebendige Demokratie. Moon, der sich und seine Wahl zum Präsidenten nach eigener Aussage als einen Teil dieser „Kerzenlichter-Revolution“ versteht, hat mit seiner unnötigen Gnade vor Recht nicht nur die Rechtsstaatlichkeit seines Landes beschädigt, sondern trägt mit seiner Schlussstrichmentalität auch zum weiteren Aufschub einer tatsächlichen, nachhaltigen Aufarbeitung und Versöhnung bei. Professor Dr. Hannes Mosler, Düsseldorf