: Leserbriefe vom 7. April 2021
- Aktualisiert am
Ein Auf und Ab: Vollversammlung der Deutschen Bischofskonferenz im September 2020 in Fulda. Bild: dpa
Missbrauch und Kirche +++ Dax-Konzerne und Gendersprache +++ Aprilscherz im Feuilleton +++ Transgender in der Praxis
Menschenfreundliche Kirche
Zu „Bischöfe im Rückstand“ (F.A.Z. vom 24. März): Die Zahl der Kirchenaustritte nimmt in den westlichen Industrieländern zu. Dies erfolgt gerade dort, wo der materielle Wohlstand am größten ist. Die Missbrauchsskandale der Vergangenheit, deren strukturelle Vertuschung, der Zölibat, die Stellung der Frau, unwissenschaftliche Erzählungen über die historische Rolle der Kirche und die Kirchensteuer werden oft als Begründung angeführt. Laufen die Mitglieder den Kirchen bald in Scharen davon? Gute Gründe sprechen dafür, diese Gemeinschaft nicht zu verlassen. Einer ist dieser: Die 1,2 Milliarden Menschen umfassende und weltweit wachsende katholische Kirche ist von ihrem Wesenskern antirassistisch und menschenfreundlich. Sie ist damit etwas Einzigartiges in der Welt. Jeder Mensch kann teilnehmen. Die Kirche weist uns darauf hin, dass jedes Leben zählt und niemand Sklave sein soll. Die Deutschen sollten auch wegen ihrer verunglückten Historie sich besonders angesprochen fühlen. 1940, als sie es zuließen, dass hier das kirchenferne NS-Regime menschenverachtenden Terror ausübte, schrieb Albert Einstein im „Time Magazine“: „Nur die katholische Kirche protestierte gegen den Angriff Hitlers auf die Freiheit und Menschenrechte. Ich hatte nie ein besonderes Interesse an der Kirche, jetzt aber fühle ich eine große Liebe und Bewunderung für sie.“ Materialismus und Geschichtsvergessenheit sind die Hauptursache der Kirchenaustritte. Die Sklaven von einst sind die Klügeren von heute. In ihren Ländern steigen die Mitgliederzahlen. Gründe, auf sie mit Überheblichkeit zu schauen, wie es in der Vergangenheit üblich war, gibt es nicht. Die Weisheit und Herzensgüte von Albert Einstein können die Austretenden in den reichen Industriestaaten nicht für sich in Anspruch nehmen. Es gibt weiter gute Gründe, der Kirche treu zu bleiben und die Liebe zu ihr mit Albert Einstein und vielen Katholiken weltweit zu teilen. Lüder Stipulkowski, Dörverden
„Korrekte“ Sprache bei Audi?
Zu „Die*der Dax_in-Konzern:innen gendern. Die Mehrheit der Dax-Konzerne setzt auf Gendersprache. Das ist das Ergebnis einer F.A.Z.-Umfrage. Warum tun sie das?“ (F.A.Z. vom 25. März): Vielen Dank Ihrem Autor Gustav Theile für die Mühe zusammenzutragen, welche Rolle die sogenannte gendergerechte Sprache inzwischen in der Kommunikation der Dax-Konzerne spielt. Das Ergebnis ist nicht überraschend. Wirtschaftsunternehmen laufen jedem gesellschaftlichen Hype hinterher. Zeitweilig war der Geiz geil, im Moment ist es die Gender-Sensibilität, von der man sich Vorteile für Image und Absatz verspricht. Aufmerken lässt, dass Audi in der genderpolitischen Leistungstabelle ganz oben mitmischt. Man wirbt mit dem Bekenntnis zu einer diskriminierungsfreien Schreibweise. Ein 13 Seiten langer Leitfaden soll „Audianer_innen“ belehren, welche Zeichen (Sternchen, Gender-Gap) gute Haltungsnoten versprechen und welche Wörter tunlichst zu vermeiden sind. Ein Fahrzeugbauer, der sich als Sprachakademie versteht: Man fragt sich, wie toll Audi heute erst dastände, hätte das Unternehmen dieselbe Energie, die es in „korrekte“ Sprache investiert, seinerzeit für korrekte Abgaswerte aufgebracht. Übrigens, auch das geht aus dem Beitrag hervor, wird das Gendern von der Mehrheit der Bevölkerung abgelehnt. Diese Einstellung bei einer künftigen Kaufentscheidung zum Ausdruck zu bringen wäre konsequentes Verbraucherverhalten. Dr. Günter Müchler, Köln
Mulmiges Gefühl
Herrlich, Ihr Bericht zum 1. April über die Umbenennung des Rias-Kammerchores. Wobei ich im ersten Moment nicht einzuschätzen wusste, ob er nicht doch wahr ist. Wenn man bedenkt, welche Programmformate der WDR-Rundfunkchor seit einigen Jahren stemmen muss beziehungsweise welche Art der Moderation in WDR 3 angeblich angesagt ist, hält man mittlerweile vieles für möglich. Von daher bleibt ein mulmiges Gefühl, weil genau das Realität werden könnte. Hans-Günther Bothe, Krefeld
Die Gender-Frage in den Parteien
Zum Beitrag „Die Quote der Quote. Eine Umfrage zur Parität“ (F.A.Z.-Geisteswissenschaften vom 31. März): Auch wenn das Wort „Frauen“ bei Günter Platzdasch anders als in dem Buch „Das Wesen der Repräsentation“ von Gerhard Leibholz im Mittelpunkt steht, leistet sein Artikel weniger für die Frauenunterstützung als der Klassiker zur Repräsentation. Leibholz arbeitet die dominante Rolle der politischen Parteien beim Erbringen von Repräsentationsleistungen heraus, die so von soziodemographischen Merkmalen einstiger Honoratiorenpolitik unabhängiger wurden. Diese Innovation ist in die Jahre gekommen, Parteien spiegeln immer seltener eine sich pluralisierende Gesellschaft. Von daher wird in der Debatte über eine geschlechtergerechtere Politik nach einem Ausweg aus der Krise der deskriptiven Repräsentation gesucht. Platzdasch dagegen erzählt Anekdoten vergangener Tage, die den Eindruck hinterlassen, dass Politikerinnen frustriert auf das Engagement von Frauen blicken, und fragt danach, ob die Parität eigentlich in der Bevölkerung unterstützt wird. Dass die herangezogene Studie von 2017 eine zu geringe Anzahl an Befragten für einzelne Parteien ausweist (zum Beispiel FDP N=35), sieht er selbst. Sein blinder Fleck ist, dass er eine vermeintliche Bevölkerungssicht zum alleinigen Maßstab für die parlamentarische Präsenz von Frauen erhebt. Parteien entscheiden jedoch nach eigenen Regeln, wie sich die Parlamente zusammensetzen. Bei ihren Kandidatenaufstellungen kommen viele parteiinterne Gepflogenheiten zusammen, beginnend beim Regionalproporz über den Strömungsausgleich bis hin zur Wiedernominierung von Abgeordneten. Der Ausgleich zwischen den Geschlechtern ist nur ein weiterer Aspekt.
Doch können diese parteiinternen Repräsentationsfragen überhaupt von der außenstehenden Bevölkerung beurteilt werden? Müsste man nicht die Verantwortlichen selbst befragen? Innerparteilich wird der Geschlechterausgleich auf Listen nämlich sehr stark unterstützt – so das in Heft 1/2020 der „Zeitschrift für Parlamentsfragen“ veröffentlichte Ergebnis einer repräsentativen Befragung aktiver Parteimitglieder durch das Institut für Parlamentarismusforschung. Bei den Grünen war die Zustimmung mit 86,1 Prozent am höchsten, aber auch bei der CSU lag sie mit 55,1 Prozent immer noch über der für eine Satzungsänderung zumeist erforderlichen absoluten Mehrheit. Nur die AfD weicht nach unten ab mit 32,6 Prozent. Diese Befunde verdeutlichen, dass das Problembewusstsein bei der Gender-Frage stark in den Parteien verbreitet ist, es aber Umsetzungsschwierigkeiten gibt. Erweisen sich die Parteien als reformunwillig, droht ihnen der Verlust an Rekrutierungskompetenz. Eine öffentliche Debatte über die Kriterien der Aufstellung von Kandidaten hat begonnen. Nimmt sie Fahrt auf, würden auch die Einstellungen der Bevölkerung wichtiger. In einer neuen Umfrage von Kantar Public Deutschland spricht sich eine deutliche Mehrheit für eine verbindliche Frauenquote aus. Angesichts vielerorts auftauchender Bewegungsparteien ist es kein gänzlich unwahrscheinliches Szenario mehr, dass die Gesellschaft irgendwann durch Vorwahlen einbezogen wird. In vielen Ländern Europas gibt es schon ein flexibilisiertes Stimmrecht, das Wählerinnen und Wählern erlaubt, ihre Kandidaten aus einer Liste auszuwählen. Dr. Benjamin Höhne, Institut für Parlamentarismusforschung, Berlin
Sehr realistisch
Das Feuilleton der F.A.Z. vom 1. April 2021 berichtet im Beitrag „Kammerchor des Rias legt alten Namen ab“. Mit der Marke ,Berlin Dynamic Singers‘ will man neue Hörerschichten erreichen“ von einer inhaltlichen Reform des Berliner Rias-Kammerchores, die perfekt in die derzeitige Entwicklung der Kulturbereiche einzelner Rundfunksender zu seichteren Programmen im Musikbereich passt. Im ersten Augenblick ist man bestürzt über die offene, fast schon zynische kulturelle Bankrotterklärung, dann aber schält sich die Erkenntnis heraus, dass es sich hier nur um einen Aprilscherz handeln kann. Obwohl – leider! – sehr realistisch formuliert, wäre eine solch unverblümte Erklärung selbst vom WDR nicht denkbar, geschweige denn vom Chor des RIAS. Frank Raudszus, Darmstadt
Kein zugewiesenes Geschlecht
Zum Gastkommentar von Thomas Lempp „Transgender in der Praxis“ (F.A.Z. vom 30. März): Ich wundere mich, wie sehr eine esoterische Sprache von Teilen der ÄrztInnenschaft bereits übernommen wurde, sobald es um das Thema Genderidentitäts-Ideologie geht. So spricht Herr Lempp in seinem Gastbeitrag von „Zuweisungsgeschlecht“. Nein, Geschlecht wird nicht „zugewiesen“, sondern bei der Geburt wahrgenommen. Und das ist in den meisten Fällen ein einfacher Vorgang. Jemand ist auch nicht „als Mädchen aufgewachsen“ (was meint er denn hiermit?), sondern jemand ist ein Mädchen oder ein Junge und wird unweigerlich zur Frau oder zum Mann. Das Geschlecht ist nicht änderbar. Auch die Erwähnung, als Arzt vielleicht ein „straight ally“ zu sein, führt die Menschen aufs Glatteis. Denn es suggeriert, das medizinische beziehungsweise Modelabel „Geschlechtsdysphorie“ und „Transgender“ habe eine Verwandtschaft mit Lesbisch- und Schwulsein. Lesben und Schwule jedoch wollen nichts an ihrem Körper ändern lassen, negieren das Geschlecht in seiner leiblichen Form nicht und nehmen das Geschlecht in seiner herkömmlichen Bedeutung sogar zum Ausgangspunkt ihrer sexuellen Orientierung. Dieselben Bauchschmerzen bereiten mir Konzepte wie das von Herrn Lempp postulierte „Geschlechtsempfinden“. Man möchte ihn fragen: Können Sie Ihr eigenes „Geschlechtsempfinden“ beschreiben, ohne dabei in eine Aufzählung von Geschlechterstereotypen abzudriften? In meiner fünfjährigen Ausbildung zur Psychologischen Psychotherapeutin wie auch in meinem Psychologiestudium habe ich von diesem ominösen „Geschlechtsempfinden“ nämlich nie etwas gehört. Und auch in meinem eigenen Leben kann ich mit diesem sexistischen Konstrukt wenig anfangen.
Der Glaube, dem anderen Geschlecht „anzugehören“, ist keine „Entwicklungsvariante“, sondern eben ein Glaube. Er basiert nicht auf Fakten, sondern auf Gefühlen und einer postulierten Identität. Die Unterstützung der Kinder, die sich im „falschen Körper“ wähnen, kann nicht darin bestehen, diesen Glauben selbst zu übernehmen, sondern darin, diesen Glauben, der nach dem „affirmativen Modell“ unweigerlich zu schädlichen hormonellen und chirurgischen Eingriffen führt, zu hinterfragen. Die Engländerinnen sagen dazu: Jemand muss hier der Erwachsene im Raum sein. Genau dem verweigert sich Herr Lempp aber offensichtlich. Wir müssen verstehen, dass „trans“ eine von MedizinerInnen hervorgebrachte Erfindung ist. Das heißt nicht, dass Kinder und Jugendliche nicht glauben, dass das Label „trans“ ihre Gefühle und ihr Erleben tatsächlich beschreibt. Es ist dennoch eine Erfindung. Und deshalb ergibt es auch keinen Sinn, von „Trans-Personen“ zu sprechen. Denn was genau soll das sein? Ich stelle mir drei Möglichkeiten hier als Antwort vor. Entweder es beschreibt eine Symptomatik, im Sinne einer Geschlechtsdysphorie, also das Leiden an dem geschlechtsbezogenen Körper. Dann möchte ich diese Menschen nicht auf dieses Leiden reduzieren. Sie bleiben trotz des Leidens Mädchen und Jungen, Männer und Frauen und sind mehr als ihre Symptome. Schließlich sagen wir auch nicht „Depressions-Menschen“, „Angst-Menschen“ oder „Schizophrenie-Menschen“. Oder meint Herr Lempp damit eine Identität? Wenn wir uns diese genauer anschauen, ist es jedoch eine Identität, die erstens auf traditionellen Geschlechterstereotypen beruht, zweitens an Medikalisierung gekoppelt ist und drittens Dissoziation (Loslösung vom eigenen Leib) normalisiert. Alles nichts Erstrebenswertes, was es zu beklatschen gilt. Wir müssen auch verstehen, dass hinter der Trans-Agenda der industrielle Medizin-Komplex (IMK) mit steigenden Gewinnspannen unvorstellbaren Ausmaßes steht. Ärzte wie Herr Lempp sind eigentlich Geschlechtsrollen-Ärzte. Sie diagnostizieren Geschlechterrollen und tragen mit ihren Interventionen dazu bei, dass sich Geschlechterrollen verfestigen. Wir werden in ein paar Jahren sehen, dass diese Gender-Medizin zu den größten Medizinskandalen in der Geschichte gehört. Nichts, worauf jemand stolz sein könnte, daran mitgewirkt zu haben. Stefanie Bode, Psychologische Psychotherapeutin, Freiburg Women’s Human Rights Campaign, Koordinatorin Deutschland