: Leserbriefe vom 5. Januar 2021
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Bundesaußenminister Heiko Maas im UN-Sicherheitsrat Bild: dpa
UN-Sicherheitsrat +++ Aufarbeitung des Vergangenen +++ Syrien +++ AFN und Beethoven +++ Beethovens Musik
Konstruktionsfehler in der UN
Zu den Berichten der F.A.Z. über die Aussage des Außenministers Heiko Maas: „UN-Sicherheitsrat nur bedingt handlungsfähig“: Die Vereinten Nationen basieren der Theorie zufolge auf dem Prinzip der Gleichheit zwischen allen Staaten. Jeder hat eine Stimme. Dass ausgerechnet in dem mächtigsten Gremium der UN die Gleichheit ihre Grenzen hat, ist bezeichnend für die tatsächlichen Verhältnisse. Dass die Siegermächte des Zweiten Weltkrieges über einen ständigen Sitz inklusive Vetorecht verfügen, führt die Gleichberechtigung ad absurdum. Ebenso absurd ist aber die Annahme, dass sich daran etwas ändern könnte im gegebenen Rahmen der UN selbst. Kein Staat, der ein so mächtiges Instrument wie ein ständiges Vetorecht in der Hand hält, gibt dieses leichtfertig auf, wenn nicht außergewöhnliche Umstände eintreten. Dieser Konstruktionsfehler in den UN war lange übertüncht worden durch die totale Dominanz der Supermächte Vereinigte Staaten und Sowjetunion in bipolaren Zeiten des Kalten Krieges und der unipolaren Periode im Anschluss mit den Vereinigten Staaten als einzig verbliebener Supermacht.
Jetzt, in der multipolaren Periode mit vielen Großmächten, steigen die Gegensätze zwischen denselbigen ebenso wie das Misstrauen, und die Schwächen des Sicherheitsrates treten offen zutage. So wünschenswert es auch wäre, die UN dahingehend zu reformieren, dem Prinzip der Gleichheit aller Staaten vollumfänglich zu folgen, ist es doch aussichtslos. Der Außenminister sollte sich besser darauf konzentrieren, Deutschland in dem Geflecht der Großmächte so zu positionieren, dass es nicht allein und hilflos dasteht, sondern seine Sicherheit gewährleistet ist. Das ließe sich über mehr europäische Einigkeit erreichen. Die EU leidet nämlich nicht unter diesem Makel der Ungleichheit zwischen ihren Mitgliedern, sondern bemüht sich im Gegenteil noch, die Unterschiede auszugleichen. Michael Tamke, Brüssel
Aufarbeitung des Vergangenen
Ich bin Herrn Professor Dr. Richard Schröder sehr dankbar – und der F.A.Z. für die Veröffentlichung –, dass er vorschlägt, die Geschichte der Wiedervereinigung neu zu erzählen („Der Schock“, F.A.Z. vom 28. Dezember). Seine Darstellung zeigt indirekt darauf, dass die schwierige Verarbeitung dessen, was er einen „Schock“ nennt, verschiedene Abwehrmechanismen enthält. Statt das Verlorene und vor allem Gescheiterte anzusehen und zu betrauern, denn die verlorenen Ideale waren groß, statt zu betrauern, was sich nicht erfüllt hat, werden erneut Verantwortliche gefunden, denen nicht zu trauen ist. Das eigene Verratensein wird nicht betrauert, es wird wiedergefunden. So lebt es fort und kann nicht durchgearbeitet werden. Frau Köpping hat mit ihrer Neugier auf die zu erzählenden Geschichten allerdings eine Tür geöffnet für die eigentlichen Narrative, das kann ein Anfang sein für die eigene Sicht und Aufarbeitung des Vergangenen – das sicherlich schon seit 1945 voller Enttäuschungen war. Die Projektionen der Benachteiligungen auf die jetzigen demokratischen Strukturen werden nicht helfen, den „Schock“ zu einer verarbeiteten Vergangenheit werden zu lassen. Vielleicht lohnt es sich noch einmal, Margarete und Alexander Mitscherlichs „Unfähigkeit zu trauern“ zu lesen. Christa Marahrens-Schürg, Hannover
Ethische Berechtigung von Sanktionen?
Selbst nach Auffassung dezidierter Kritiker haben Assad und sein Regime den Bürgerkrieg in Syrien für sich entschieden. Die Bilanz ist verheerend: eine halbe Million Tote, ein Drittel der Bevölkerung geflohen. Die humanitäre Lage im Land ist furchtbar, die Syrienpolitik des Westens, die immer wieder das Ende des Regimes forderte und voraussagte, gescheitert. Wird nun ein Neuansatz gesucht, der die Tragödie beenden kann? Ganz im Gegenteil: Der amerikanische Syrien-Beauftragte James Jeffrey deckte 2020 auf, worum es eigentlich geht: Die Politik „maximalen Drucks“ muss weitergeführt, Syrien zum „Sumpf für Russen und Iraner“ werden („Newsweek“ vom 13. Mai 2020). Jeffrey sprach aus, was schon lange befürchtet wurde: Auf dem Rücken des syrischen Volkes wird ein Stellvertreterkrieg ausgetragen. Während aber die EU mit anderen Staaten der Region, deren Menschenrechtslage hochproblematisch ist („Nachbarn am Mittelmeer“ von Rainer Hermann, F.A.Z. vom 23. Dezember), normale Beziehungen pflegt, unterstützt sie gegenüber Syrien die „Politik maximalen Drucks“. Die Sprachregelung der EU, nach der ihre Sanktionen „gezielt“ gegen die Assad-Clique und deren Waffenimporte gerichtet seien, verdeckt nur ihr schlechtes Gewissen: Tatsächlich untersagen die EU-Sanktionen auch den Export von Kraftwerken, Öl und Ölprodukten nach Syrien, wodurch eine wirtschaftliche Erholung des geschundenen Landes und die Lebensbedingungen seiner Menschen dauerhaft erschwert werden.
Gleichzeitig dramatisieren die EU-Mitgliedstaaten im UN-Sicherheitsrat eine Auseinandersetzung um humanitäre Hilfskorridore und erwecken den Eindruck, die Hilfe durch die umstrittenen Korridore komme der syrischen Bevölkerung insgesamt zugute („Fleißkärtchen im Sicherheitsrat“, F.A.Z. vom 23. Dezember). Dabei sind diese Korridore gerade deshalb umstritten, weil die durch sie gelenkten Hilfslieferungen in und durch Gebiete führen, die noch von islamistischen Gruppierungen kontrolliert werden. 2021 stellt sich drängender denn je die Grundsatzfrage: Welche ethische Berechtigung haben EU-Sanktionen, die das Leid der Bevölkerung verlängern, ohne politisch eine Wende zum Besseren zu bewirken? Hellmut Hoffmann, Botschafter a. D., Berlin
AFN sei Dank
Das Beethoven-Jahr 2020 ist vorüber, dem F.A.Z.-Feuilleton sei Dank für die Begleitung des Ereignisses über die letzten zwölf Monate. Vor allem die Beiträge in der Serie „Begegnungen mit Beethoven“ eröffneten erhellende, bisweilen erheiternde Facetten des Genies. Wenn auch weniger prominent als die Autoren der Serie, möchte ich doch gerne meine eigene Begegnung mit den großen Komponisten in den frühen sechziger Jahren schildern. Sie erfolgte über den amerikanischen Soldatensender AFN. Es galt damals unter der heranwachsenden Jugend als – heute würde man sagen: cool, dessen Programm zu hören und sich damit gleichzeitig die Benotung der Aussprache im Englischunterricht zu verderben. Rock ’n’ Roll war damals eher selten zu hören auf AFN, dafür jede Menge Schlager und vor allem Country & Western. „Sixteen O’Five to Nashville“ war eine der tagtäglichen Standardsendungen dazu. Davor aber gab es „Adventures in Good Music“. Gute Musik, das war natürlich klassische, welche der Moderator Karl Haas vom Sender WJR Detroit den GIs anhand von Musikbeispielen und allerlei Anekdoten aus dem Leben der großen Komponisten nahezubringen versuchte. Als Eingangsmusik ertönte stets eine kurze Passage aus dem zweiten Satz von Beethovens „Pathétique“.
Eines Tages nun spielte der Lehrer uns Viertklässlern der Oberrealschule im Musikunterricht eine Platte mit ebendiesem Stück vor. Ich war elektrisiert, war ich doch dank Karl Haas damit bestens vertraut. Und als er fragte: „Wer kennt dieses Stück?“, da schoss mein Arm empor, und ich rief „Beethoven!“ in die Klasse. Frage des Lehrers: „Woher weißt du das?“ Meine Antwort: „Vom AFN!“, worauf die Klasse in schallendes Gelächter ausbrach. Der Lehrer glaubte an einen Scherz, und ich hatte alle Mühe, ihm darzulegen, dass eine von der damaligen Erwachsenenwelt eher abgelehnte Institution, die sonst nur „Amimusik“ brachte, offenbar auch andere Werte zu vermitteln in der Lage war. Dafür, dass mich der AFN zu Beethoven geführt hat, bin ich dem heute vergessenen „Amisender“ noch immer dankbar.
Werner Kurz, Hammersbach
Beethovens Musik
In dem Beitrag „Vom Zaren gefördert, von Lenin geliebt, von Stalin gefeiert“ von Kerstin Holm in der F.A.Z. vom 16. Dezember werden etliche russische Persönlichkeiten genannt, die Beethoven verehrt haben sollen, darunter Lenin und Stalin. Beethoven wurde auch in anderen Ländern von politischen Persönlichkeiten verehrt. Zum Beispiel ließ Joseph Goebbels während des Krieges die Neunte spielen. Ich glaube, Mao hatte ihn besser verstanden. Er ließ seine Musik in Rotchina verbieten. Peter Herrmann, Eisenberg