: Leserbriefe vom 23. Juli 2022
- Aktualisiert am
Rohrleitungen zu den unterirdischen Erdgasspeichern in Rehden, Niedersachsen Bild: dpa
Gasmangel +++ Petersberger Klimadialog +++ Hitzewelle +++ Theater in der Krise +++ Energiekrise
Fatale Fehleinschätzungen
Zum Artikel „Mehr Vertrauen wagen“ von Gerald Braunberger (F.A.Z. vom 18. Juli): Endlich wird das nicht mehr auszuhaltende tägliche Jammern aus Politik und Medien über den drohenden russischen Gas-Stopp thematisiert. Gerald Braunberger bricht mit seinem Kommentar das Problem auf das herunter, was es ist: eine Herausforderung, die erhebliche wirtschaftliche Lasten mit sich bringt, die angesichts dessen, was auf dem Spiel steht, zu tragen sind. Damit einhergehen muss der zügige Einsatz und die schnelle Suche nach Energie-Alternativen ohne ideologische grüne Scheuklappen (Kohle, Kernkraft, LNG egal woher). Das unablässige Schildern von Katastrophenszenarien, die laufenden Schreckensmeldungen wie „soziale Sprengkraft“, „Zerreißprobe“, „Kriegs- und Mangelwirtschaft“, „furchtbare Rezession“, „verheerende Arbeitslosigkeit“ bringen nichts und lassen höchstens Putin die Hände reiben. Heute ist Zahltag für zwei Jahrzehnte fataler Fehleinschätzungen prominenter Politiker wie Walter Steinmeier, Sigmar Gabriel oder Angela Merkel, die ohne jedes geopolitische Gespür nur die billige Versorgung der Wirtschaft im Blick hatten, ohne alternative Energiequellen vorzubereiten oder aufzubauen – bei solch wichtigen Entscheidungen schlicht unabdingbar. Die beiden damaligen Minister machten ihren Irrtum öffentlich, von Angela Merkel fehlt wie immer das Eingeständnis, falsch gelegen zu sein, sie ist mit sich „im Reinen“. Gas als Waffe war für sie undenkbar. Die brutale Realität verscheuchte naive Illusionen. Der der Wirklichkeit entrückte Mann am Gashahn zeigt sein wirkliches Gesicht und lässt alle schlecht aussehen, die Nord Stream 2 noch bis zuletzt als ein rein privatwirtschaftliches Projekt bezeichneten, darunter auch Kanzler Olaf Scholz. Nicht gerade ein Ausweis großer politischer Analysefähigkeit, die ein Regierungschef aber haben sollte. Claus Wörner, Tübingen
Worüber geschwiegen wird
Zu „Baerbock sieht Klimawandel als Brandbeschleuniger“ (F.A.Z. vom 20. Juli): Die gegenwärtige Hitze, unter der auch unser Land stöhnt, macht das Thema Klimawandel ganz besonders aktuell und gibt den Politikern eine weitere Spielwiese für großartige Aussagen, Prophezeiungen und Versprechen, so jetzt auch für Frau Baerbock in Bonn. Kaum mehr jemand bestreitet, dass es überall wärmer wird. Dazu genügt ein täglicher Blick auf das Thermometer. Und dass das Folgen hat, ist auch klar. Verwunderlich ist nur, dass ein anderes, wohl noch schwerer wiegendes Problem, das die Zukunft der Menschheit bedroht, zartfühlend so gar nicht erwähnt wird: Es ist die unheimliche Zunahme der Bevölkerung insbesondere auf der südlichen Seite der Erdkugel, aber auch in weiten Teilen Asiens. Als Beispiel etwa Madagaskar: Um 1900 zu 90 Prozent bewaldet mit geschätzt vier Millionen Einwohnern, jetzt bis auf kümmerliche zehn Prozent entwaldet mit 28 Millionen Einwohnern – zu erwarten bis 2050 etwa 40 Millionen Menschen. Sambia, seit 1950 eine siebenfache Zunahme der Bevölkerung. Äthiopien, einst gut bewaldet, jetzt nur noch Reste an Wald, nach dem Zweiten Weltkrieg 30 Millionen Menschen, jetzt mehr als hundert, um 2050 wohl 150 Millionen. Aber so sieht es nicht nur dort aus. Überall in Afrika, vom Kap bis Kairo, Südostasien, aber auch Süd- und Mittelamerika nimmt die Bevölkerung erschreckend zu. Wenn der ägyptische Präsident Sisi in Bonn Versprechungen hinsichtlich der Erreichung der Klimaziele macht, darf man ihn fragen, wie er die enorm wachsende Bevölkerung im engen Niltal seines schon jetzt übervölkerten Landes eigentlich in Zukunft ernähren will. Schon jetzt geht das ja nicht ohne Subventionen, mit denen für das einst landwirtschaftlich reiche Land Weizen in Russland und der Ukraine gekauft werden muss – mit oder ohne Klimawandel. Wäre überall dort die Bevölkerung noch zahlenmäßig auf dem Stand etwa vor 50 Jahren, gäbe es zwar auch die Klimaerwärmung, sie spielte aber eine weit geringere Rolle als bei den jetzt schon vorhandenen und noch weiter anschwellenden Menschenmassen, die zu erwarten und zu ernähren sind. Aber darüber schweigt man lieber und beschuldigt die bösen Länder im Norden, unter deren von diesen verschuldetem Klimawandel die armen Länder ja so leiden. An der irrsinnigen Zunahme an Menschen haben wir im Norden, ob Amerika, Europa oder Nordostasien, keine Schuld. Dr. Peter Kober, Schwelm
Die Natur gewinnt so oder so
Im Leitartikel „Unsere Städte müssen grüner werden“ schreibt Alfons Kaiser (F.A.Z. vom 21. Juli) von den „Gärten des Grauens“, in denen vor lauter Platten, Beton oder Kies kein Grashalm herausschauen kann, und meint, hier lebe „die evolutionär bedingte und christlich beglaubigte Vorstellung fort, der Mensch müsse sich die Erde untertan machen“. Das ist ein weit verbreitetes Missverständnis. In 1. Mose 1,28 ist zwar die Rede vom Herrschaftsauftrag des Menschen über die Erde, aber in Vers 30 auch davon, dass Gott den Tieren „alles grüne Kraut“ zur Nahrung gegeben hat. Entzieht der Mensch seinen Mitgeschöpfen die Nahrung wie in den „Gärten des Grauens“, handelt er also gegen Gott. Wo wären wir, hätte der Mensch nicht begonnen, die Erde zu erforschen? Im Jahr 1000 vor Christus lebten auf ihr etwa 50 Millionen Menschen, die den Naturgewalten weithin ungeschützt ausgeliefert waren. Im Jahr 1800, als der technische Fortschritt Fahrt aufnahm, existierte rund eine Milliarde Menschen mit einer Lebenserwartung von durchschnittlich 30 Jahren. Wer hätte damals ahnen können, dass wir im 21. Jahrhundert Gefahr laufen, uns zu Tode zu entwickeln? Schuldzuweisungen an vergangene Zeitalter sind demzufolge verfehlt. Würden wir aufhören, uns die Erde untertan zu machen, also sie zu erforschen, dürften wir auch keine Impfstoffe mehr entwickeln, keine technischen Strategien, die CO2-Emissionen in den Griff zu bekommen, und so weiter. Das kann die Devise nicht sein. Wir Menschen – samt unserer Technik – sind Teil der Natur. Wollen wir überleben, müssen wir dem biblischen Schöpfungsauftrag entsprechend neu Gärtner und Pfleger unserer nichtmenschlichen Umwelt werden. Die Natur als solche gewinnt so oder so – mit uns oder ohne uns. Dr. Annette Weidhas, Programm- und Verlagsleiterin der Evangelischen Verlagsanstalt Leipzig
Lied von der Moldau
Leider irrt sich Hubert Spiegel in seinem aufschlussreichen Bericht „Unter der Bühne das Nichts“ (F.A.Z. vom 21. Juli). Die am Schluss des Artikels zitierte Zeile stammt zwar aus einem Gedicht, aber auch aus einem Stück. Es handelt sich um Brechts „Schweyk im Zweiten Weltkrieg“, in dem am Ende ein Lied gesungen wird. Seine letzte Strophe lautet: „Am Grunde der Moldau wandern die Steine – Es liegen drei Kaiser begraben in Prag. Das Große bleibt groß nicht und klein nicht das Kleine. – Die Nacht hat zwölf Stunden, dann kommt schon der Tag.“ Übrigens ein schönes Stück für unsere Spielpläne und ein Vergnügen für die Zuschauer. Dr. Axel Bornkessel, Köln
Der Wald eher eine Holzfabrik?
Zu „Österreicher hamstern Brennholz“ (F.A.Z. vom 18. Juli): Die Aussage vom Vorsitzenden des österreichischen Waldverbands, Rudolf Rosenstatter, es wachse weitaus mehr zu, als genutzt werde, ist zu pauschal. Im Jahr 2020 emittierte Österreich 73,6 Millionen Tonnen CO2-Äquivalente. Vier Millionen Festmeter Holz wachsen jährlich zu, sodass nur vier Millionen Tonnen CO2 im Jahr zusätzlich gespeichert werden können. Die Emissionen von klimaschädlichem CO2, Methan, Lachgas und Ruß durch Holzverfeuerung konterkariert daher die Klimaschutzziele. Die Behauptung, der Wald müsse umgebaut werden, um die steigenden Temperaturen aushalten zu können, deutet auf einen verhängnisvollen Machbarkeitswahn hin. Niemand kann wissen, wie der Klimawandel verlaufen und welche Anforderungen er an den Wald stellen wird. Entscheidend ist die eigene Anpassungsfähigkeit der Natur. Die Ansicht, Fichtenwälder, die dem Borkenkäfer zum Opfer fallen, müssten geschlagen werden, ist überholt. Die Borkenkäferfräse unterbricht die Fraßgänge des Buchdruckers und hindert ihn am Brüten. Der Hinweis, die CO2-Speicherfähigkeit nehme ab, sobald ein Baum ausgewachsen sei, ist theoretisch, da Waldbäume üblicherweise viel früher gefällt werden. Wer auf den Produktwert von Laub- und Nadelholz abstellt, gibt zu erkennen, dass er im Wald eher eine Holzfabrik als ein hochkomplexes Ökosystem sieht. Reinhard Wetzel, Hachenburg