: Leserbriefe vom 1. Juni 2022
- Aktualisiert am
Präsentation der Benin-Werke im Rautenstrauch-Joest-Museum Bild: Fadi Elias
Kölns Benin-Bronzen +++ Völkerrecht und Kriegseintritt +++ Bundesländer unter Druck
Verdrängte Angst vor den Nachbarn
Zu dem Artikel „Was wollten wir bloß damit?“ in der F.A.Z. vom 25. Mai: Was sind das für Dinge? Es wird nicht gesagt. So schildert Patrick Bahners den Effekt der Ausstellung der Benin-Bronzen im Kölner Rautenstrauch-Joest-Museum, und er hat damit ins Schwarze getroffen! Im vorherigen Raum des Rundgangs wird dagegen extra darauf hingewiesen, dass die Objekte im Museum in ihrem funktionellen Kontext zu sehen seien. Aber hier wird bewusst darauf verzichtet. Es wäre auch peinlich, wenn Objekte und Reichtum mit Unterwerfung der Nachbarn, Sklavenjagd und Sklavenhandel, Ritualen und Menschenopfern in Verbindung gebracht werden müssten. Während meiner beruflichen Feldarbeit in Nigeria in den Siebzigerjahren, damals bei noch relativ friedlicher Koexistenz zwischen Naturreligionen, Christentum und Islam, landete ich mit einem Hubschrauber auf einem hohen unzugänglichen Granithügel, einer Fliehburg mit Zisternen, Höhlen und zum Teil bereits verfallenen Gegenständen des täglichen Lebens: einem Rückzugsort aus Angst, von den Nachbarn im Süden versklavt oder gegebenenfalls geopfert zu werden. Ich war zutiefst beeindruckt. Er ist vermutlich inzwischen in Vergessenheit geraten. Aber man sollte zur eigenen Geschichte stehen, so wie wir zu Hexenverbrennung, Holocaust oder auch den brutalen Ritualen in präkolumbianischen Kulturen. Für Afrika soll das offensichtlich nicht gelten; einerseits dort immer Opfermentalität und andererseits hier neuerdings postkoloniale Vergangenheitsbewältigung. Nigeria wird dies nichts nützen, es stürzt immer mehr ab in Entführungen, Anschläge, Korruption und tödliche Auseinandersetzungen zwischen Hirten und Ackerbauern. Umso schmerzlicher, dass für die Benin-Ausstellung (aus Platzgründen?) ein hochaktuelles Thema ins Archiv weichen musste, die Tuareg. Gerade sie waren und sind repräsentativ auch für die heutige Zeit – Vertreibung, Klima, Überbevölkerung und Überweidung, Wanderarbeit, Vernachlässigung durch Zentralregierungen und Instrumentalisierung der Religion. Diese Diskussionen in einem Museum wären – gerade mit unserer Jugend – für die Zukunft wichtiger als angebliche Trauer, Vermissen und Erinnern. In den Siebzigerjahren wurde in Nigeria nichts vermisst, aber der Ölreichtum bereits verprasst. Dr. Klaus Koch, Overath
Nicht einmal eine Karte in Köln
Zum Artikel „Was wollten wir damit?“ über die Ausstellung „We miss you“ im Kölner Rautenstrauch-Joest-Museum (F.A.Z. vom 25. Mai): Vollste Zustimmung! Es ist aber noch schlimmer, als Patrick Bahners es beschreibt. Der Ausstellung fehlt jeder wissenschaftliche Zugriff. Statt zu informieren, werden die Kunstwerke ästhetisiert und wird das wichtige Thema kolonialer Aneignung und Rückgabe moralisiert. Die Texte strotzen vor gefühligem Gestus und unerträglichem therapeutischem Vokabular: Hier ist alles Trauma. Heute ertönt überall der Ruf nach Provenienzforschung, aber in der Kölner Ausstellung erfährt man fast nichts zur Herkunft der Skulpturen. Ist über die Wege und Umwege der Objekte von den Künstlern in Nigeria bis nach Köln vielleicht fast gar nichts bekannt? Die vielschichtige Problematik von Rückgaben wird nicht im Ansatz reflektiert. Die Stücke sollen „in ihrer ganzen Individualität“ gezeigt werden. Konkret heißt das: Dekolonialisierung durch totale Dekontextualisierung. Wir erfahren nichts über die Umstände ihrer Herstellung und Funktion und außer dem Datum sogar nichts zur Aneignung durch die Briten. Als Besucher suchen wir verzweifelt nach Informationen zur Lebenswirklichkeit der damaligen Herrscher und Künstler und zum heutigen Nigeria. Aber nicht einmal eine Karte ist vorhanden, um das Land auf dem afrikanischen Kontinent zu finden. Da wundert es kaum noch, dass auch die Sklaverei und die alltäglichen Menschenopfer in den damaligen Königreichen ausgeblendet werden. Besucher können auf Kärtchen mit Minimalinformationen zu den 96 Kunstwerken einen QR-Code scannen, um zu einem zum Kunstwerk gehörenden „Blog“ zu gelangen. Statt Erklärungen sehen wir dann nur Bildchen aller Werke. Gibt es einen helfenden Katalog? We miss you. Die Stärken gut kuratierter ethnologischer Ausstellungen sind gute Objekte, Erläuterungen zu ihrem kulturellen Kontext und die Anregung zu veränderter Perspektive durch Vergleich, Befremdung und Verfremdung. Hier finden wir nichts von alldem. Was bedeutet die Rückgabe für die Menschen in Nigeria? Hier wären Informationen zum heutigen Nigeria absolut notwendig: Das Land leidet unter extrem hoher Korruption und trotz seiner Öl-Milliarden unter großer Armut bei der Mehrheit der Bevölkerung. An wen genau sollen die Skulpturen eigentlich zurückgegeben werden? Immerhin ist der Edo-State mit der Hauptstadt Benin-City heute quasi eine interne Kolonie im Land. Die politisierende Ausstellung bleibt am Ende auf dem politischen Auge blind. Aber wir wollen hier nicht nur mäkeln. Besuchen Sie diese wirklich schöne Ausstellung! Professor Dr. Christoph Antweiler, Institut für Orient- und Asienwissenschaften der Universität Bonn, Bonn, Professor Dr. Klaus Schneider, Direktor des Rautenstrauch-Joest-Museums a. D., Köln
Klarheit im öffentlichen Diskurs
Zum Leserbrief von Professor Jochen A. Frowein (F.A.Z vom 18. Mai): Helene Bubrowski hatte zu Recht darauf hingewiesen, dass Russland Deutschland auch dann nicht angreifen dürfte, wenn Deutschland der Ukraine mit Waffengewalt zur Abwehr des bewaffneten Angriffs Russlands zu Hilfe käme. Denn da eine solche Hilfeleistung in Ausübung des kollektiven Selbstverteidigungsrechts völkerrechtlich erlaubt wäre, hätte der russische Angreifer diese von Völkerrechts wegen zu dulden. Reagierte Russland demgegenüber auf eine solche erlaubte Verteidigung der Ukraine durch Deutschland mit Gewalt gegen deutsche Ziele, so läge hierin eine weitere russische Verletzung des völkerrechtlichen Gewaltverbots. Frau Bubrowski war für die Klarstellung zu danken, drohte dieser völkerrechtlich zentrale Punkt doch in Anbetracht der Fixierung der politischen Debatte in Deutschland auf den Begriff der „Kriegspartei“ zunehmend aus dem Blick zu geraten. Zwar ist es richtig, dass Deutschland und Russland auf der Ebene des Völkerrechts des internationalen bewaffneten Konflikts gleichzubehandeln wären, würde Deutschland zur Partei eines solchen Konflikts mit Russland. Ein russischer Soldat beginge dann beispielsweise kein Kriegsverbrechen, griffe er ein militärisches deutsches Ziel an. Doch höbe die Anwendbarkeit des „kriegsrechtlichen“ Gleichbehandlungsgrundsatzes die Bindung Russlands an das völkerrechtliche Gewaltverbot nicht auf. Dies festzustellen spricht keineswegs gegen die Entscheidung der deutschen Politik, bei der Unterstützung der Ukraine unterhalb der Schwelle zur Beteiligung am bewaffneten Konflikt zu bleiben. Es geht lediglich um die Klarheit im öffentlichen Diskurs: Die Gründe für die Selbstbeschränkung Deutschlands und der übrigen Unterstützer der Ukraine sind im Kern nicht völkerrechtlicher, sondern politischer Natur. Professor Dr. Claus Kress, Köln
Wasser- statt Windmühlen
Zu dem Leitartikel „Mehr Autarkie wagen“ von Rüdiger Soldt (F.A.Z. vom 7. Mai): Viele Artikel in der F.A.Z. befassen sich mit der Problematik des Zubaues von Windenergieanlagen im Inland und der starken Schwankungen des Stromangebotes aus diesen Anlagen. Kurioserweise wird nicht betrachtet, dass es bis in die 1960er-Jahre eine große Zahl von Wassermühlen in Mittelgebirgen gab. Die Wasserrechte, diese Energie zu nutzen, wurden durch öffentliche Mittel aufgekauft und die Mühlen stillgelegt. Die Energiequelle Wasserkraft wird aber in Süddeutschland und Österreich heute noch genutzt, wobei die Wirtschaftlichkeit der Kleinkraftwerke, ausgedrückt in der Umsatzrendite, im zweistelligen Bereich liegt, was keine konventionellen Stromerzeugungsanlagen erreichen. Zudem ist deren Stromerzeugung weniger volatil als bei Windanlagen und auch partiell bedarfsgerecht steuerbar. Die Mühen, die Wasserrechte wieder zu aktivieren und regionale Verbünde für Kleinwasserkraftanlagen zu schaffen, ist sicher wirkungsvoller als der Kampf gegen die Windmühlen. Dr. Hans Jürgen Arens, Emmerich