Beschneidungen in Deutschland : Guter Schnitt
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Bei den niedergelassen Kinderchirurgen stehen Beschneidungen unter den Diagnosen an erster Stelle Bild: Sascha Preußner/ddp images
In der Beschneidungsdebatte des vergangenen Jahres wurde darüber wenig gesprochen: Zirkumzisionen bei Jungen sind selten medizinisch notwendig. Doch Ärzte verdienen gut daran. Und die Zahl der Eingriffe steigt.
Im Dezember 2012 hat der Deutsche Bundestag ein Gesetz verabschiedet, das die Beschneidung von kleinen Jungen auch aus religiösen Gründen erlaubt. In die öffentliche Diskussion darüber ist seitdem Ruhe eingekehrt. Karl Becker, Sprecher des Bundesverbands der niedergelassenen Kinderchirurgen, findet das gut. Er hoffe, „dass die unselige Debatte gestorben ist“, schreibt er im Vorwort seines Buchs „Die rituelle Beschneidung“, das er im Frühjahr veröffentlicht hat.
Liegt eine medizinische Notwendigkeit vor, wird die Beschneidung von der Krankenkasse übernommen. Das ist jedoch selten. Kinderchirurg Becker schreibt, „eine im religiösen Glauben verankerte Indikation“ könne „wesentlich eindeutiger sein als die vermeintlich rational-wissenschaftliche Indikation“. Damit hat er insofern recht, als der medizinische Hauptgrund für eine Beschneidung, die angeborene Vorhautverengung – Phimose genannt –, bei kleinen Jungen oftmals nicht eindeutig ist. Fast alle Jungen kommen mit einer Phimose zur Welt. Zwischen dem dritten und fünften Lebensjahr, spätestens bis zur Pubertät, löst sie sich normalerweise von selbst auf. Wenn sie in der Pubertät fortbesteht, soll zunächst „primär lokal behandelt“ werden, rät der Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte. In 60 bis 70 Prozent der Fälle stelle sich mit einer vier- bis sechswöchigen Salbenkur schon ein Erfolg ein. Funktioniert das nicht, sollte eine „vorhauterhaltende, plastische Operation“ erfolgen. „Nur in ganz seltenen Ausnahmefällen“ sei überhaupt eine vollständige Beschneidung (Zirkumzision) erforderlich.
Auch die im August veröffentlichte Phimose-Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Kinderchirurgie geht von einer natürlichen Vorhautverengung bei 96 Prozent der neugeborenen Jungen und einer natürlichen Auflösung derselben sowie der ebenfalls angeborenen Vorhautverklebung im Alter von drei bis fünf Jahren aus. Von einer vorsorglichen Beschneidung wird zudem abgeraten, weil „ein eventueller Nutzen einen möglichen Schaden nicht derart überwiegt, dass ihre Durchführung empfohlen wird“. Vollständige Beschneidungen seien immer „mit einer signifikanten Komplikationsrate behaftet“, bei sechs Prozent der Patienten träten Nachblutungen auf.
Mehr Eingriffe bei muslimischen Jungen
Eine Operation an der Vorhaut im Vorschulalter ist entsprechend medizinisch so gut wie nicht begründbar. Tatsächlich sei die Diagnose der Vorhautverengung aber gerade bei muslimischen Kindern „zu Beginn sehr großzügig gestellt“ worden, schreibt Becker. „Ethische Überlegungen gab es nicht.“ Außerdem sei „die Beschneidung ein guter Einstieg in die subtilen Operationstechniken der Kinderchirurgie und somit für die Ausbildung gut geeignet“. Die Beschneidung versteht Becker also auch als Übungsfeld für junge Ärzte, die so den „sorgsamen Umgang mit dem kindlichen Gewebe, das Nähen und verletzungsarme Präparieren“ lernten.