Berlusconi-Prozess : „Ein bestialisches Urteil“
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Silvio Berlusconi Bild: AFP
Berlusconis Freunde kritisieren das Urteil gegen den „Cavaliere“ in schrillen Tönen. Für Ministerpräsident Letta ist es ein harter Schlag. Berlusconi selbst dürfte Letta jetzt einen Deal anbieten.
Für die italienische Regierung von Ministerpräsident Enrico Letta ist das Urteil gegen seinen Koalitionspartner Berlusconi ein harter Schlag. Die „ungewohnte Koalition“ der bisherigen Erzfeinde, der Sozialdemokraten Lettas und Berlusconis „Volk der Freiheit“ (PdL), hat es schon schwer genug, in Finanz- und Wirtschaftspolitik einen gemeinsamen Weg zu finden. Jetzt wollen viele PdL-Funktionäre diesen „Kurs der Befriedung“ nicht mehr mitmachen. Sie hatten gehofft, die Koalition könne Berlusconi vor den Folgen seines anrüchigen Lebensstils retten - und wurden enttäuscht.
An diesem Dienstag noch will der italienische Ministerpräsident Enrico Letta Berlusconi empfangen. Das Gespräch war seit langem geplant, aber jetzt dürfte es nicht mehr nur um die von Berlusconi gewünschten Steuersenkungen gehen, die Letta und sein Finanzminister nicht bezahlen können, was schon genügend Sprengstoff für die Koalition in sich birgt. Berlusconi dürfte Letta einen Tausch anbieten und ihn darum bitten, einen Weg zu finden, ihn von weiteren Rechtsverfolgungen zu amnestieren. Dafür will Berlusconi im Gegenzug Letta versichern, die Regierung ohne Vorbehalte weiter mit zu tragen. Offiziell heißt es bei den meisten PdL-Politikern, die Prozesse Berlusconis hätten nichts mit dem Bestand der Koalition zu tun.
„System organisierter Prostitution“
Der frühere Regierungschef und heute 76 Jahre alte Senator Berlusconi war am Montag in erster Instanz zu sieben Jahren Haft verurteilt worden. Er soll lebenslang keine politischen Ämter mehr ausüben dürfen. Die drei Richterinnen in Mailand sahen es als erwiesen an, dass ein Kreis von Berlusconi-Vertrauten in den Jahren bis 2010 zur „Befriedigung der Begierden“ Berlusconis ein „System organisierter Prostitution“ schuf, in dem auch die damals noch minderjährige Nachtclubtänzerin „Ruby“, die aus Marokko stammende Karima al Mahrough oder eben „Ruby Rubacuore“, für Geld Sex mit Berlusconi hatte. Sie habe auch mindestens sechs Nächte in Berlusconis Villa bei Mailand gewohnt und mit ihm geschlafen.
Alle Zeugen verneinten das und sprachen - wie Berlusconi selbst - von „eleganten Abendessen“, bei denen es freilich bisweilen zu „burlesken“ Szenen gekommen sei, also zu Tänzen, bei denen sich die Mädchen fast nackt ausgezogen hätten. Diesen Zeugen warfen die Richterinnen vor, sie hätten das Gericht täuschen wollen und hätten gelogen. Es drohen damit neue Prozesse.
Im Weiteren wird Berlusconi Amtsmissbrauch in seiner schwersten Form vorgeworfen. Als „Ruby“ Ende Mai 2010 wegen des vermeintlichen Diebstahls eines Schmuckstücks von einem der Mädchen, mit dem sie in einer von Berlusconis Unterhändlern angemieteten Wohnung lebte, von der Polizei auf die Wache mitgenommen wurde, sollen er selbst und engste Mitarbeiter telefonisch die Polizei gebeten haben, Ruby einer zuverlässigen Bekannten zu übergeben und sie ziehen zu lassen. Das sei aber nicht durch eine „missbräuchliche Amtsausübung“ als Bitte geschehen; vielmehr hätte Berlusconi selber, der sich in jenen Stunden in Paris aufhielt, und engste Mitarbeiter die Polizei mit insgesamt zehn Anrufen geradezu bedrängt, und so habe Berlusconi bei seinem Amtsmissbrauch „Zwang ausgeübt“. Während die Staatsanwaltschaft sechs Jahre Haft gefordert hatte, verurteilte das Gericht ihn nun wegen dieser schweren Form des Amtsmissbrauchs zu sieben Jahren.
„Wir in Italien haben Angst vor unserer eigenen Justiz“
Berlusconi kann das Urteil noch zwei Mal anfechten. Der weitere Rechtsstreit könnte sich also über Jahre hinziehen. Selbst wenn das Urteil durch alle Instanzen bestehen bleibt, müsste er die Haftstrafe wohl kaum antreten. Für Verurteilte über 70 Jahre sieht das italienische Recht Hausarrest vor.
Berlusconis engste Vertraute schimpfen über die „Verfolgung“ ihres Helden. Der frühere Minister Renato Brunetta (PdL), spricht von einer politisierten und ungerechten Justiz: „Heute haben wir in Italien Angst vor unserer eigenen Justiz. Vor einer Justiz, die außerhalb des Gesetzes steht“, sagte Brunetta. „Berlusconi wurde für ein Telefonat an eine Polizeidienststelle zu sieben Jahren Haft verurteilt. Es gab keine Opfer. Er wollte nur eine Information haben.“
Die ehemalige Bildungsministerin von Berlusconi Mariastella Gelmini (PdL) sagte, das Urteil sei von jenen geschrieben worden, die „die Annäherung und Aussöhnung der beiden politischen Lager bekämpfen. Für so einen Versuch der Destabilisierung dürfen wir keinen Flankenschutz geben“. Auch für Berlusconi-Freunde wie den Chefredakteur Giuliano Ferrara von „Il Foglio“ ist das Urteil ein Skandal. „Seit heute hat Mailand einen neuen Namen: Teheran. Das ist ein bestialisches Urteil“, sagt er. Es habe nichts mit einem Rechtsstaat zu tun.
In einem Kommentar der Zeitung „La Repubblica“, heißt es, in normalen Ländern wäre es nie zu so einem aufgeladenen Prozess gekommen. Schon vor Beginn des ersten Gerichtstages hätte ein Regierungspolitiker wie Berlusconi sein Amt aufgegeben. In Italien aber werde eher die Regierung Letta fallen.
In Lettas Demokratischer Partei (PD) hält man sich bedeckt. Man werde das Urteil respektieren, hieß es noch am Montag nur in einer offiziellen Erklärung. Die „Bewegung fünf Sterne“ des Komikers Beppe Grillo hält das harte Urteil für gerecht. „Die von der PdL haben gesagt, es wäre ein politisches Urteil - wie originell. Obwohl wir liberal und rechtsstaatlich sind - Berlusconi ist unwürdig, ein Senator zu sein. Er muss ins Gefängnis, erst dann ist dieses Land frei“, sagte Grillo.