Spähaffäre : Alle Augen und Ohren auf
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Geheimer Standort außerhalb Pullachs. Ein »Signal Intelligence«-Kontrollraum des BND Bild: Martin Schlüter/Sieveking Verlag
Die Bundesregierung versucht die Aufregung nach den Spionage-Enthüllungen zu dämpfen. Und stößt auch auf Verständnis.
Die Bundesregierung hat mit einem knappen Satz die Aufregung zu dämpfen versucht, die am vergangenen Wochenende über die Spionage-Aktivitäten des Bundesnachrichtendienstes (BND) entstanden war. Die Stellungnahme lautete, das Parlamentarische Kontrollgremium – jene acht Bundestagsabgeordneten, welche die Arbeit der Geheimdienste beaufsichtigen sollen – sei seit Juli schon „über einen Teil des Sachverhalts unterrichtet“ gewesen, welcher jetzt öffentliches Erstaunen hervorruft.
Die Enthüllungen des Wochenendes sind offenkundig eine späte Frucht der Enttarnung des BND-Mitarbeiters Markus R., der als mutmaßlicher Doppelagent auch den amerikanischen Geheimdienst beliefert hatte und mit dem russischen Geheimdienst in Kontakt kommen wollte. Bei seiner Enttarnung Anfang Juli hatte es geheißen, der Betreffende habe ein Dossier von insgesamt 218 Dokumenten an die amerikanischen Dienste weitergegeben.
Auftragsprofil: Ausspähen der Türkei
Offenkundig befand sich in diesem Dossier erstens auch ein vom BND zufällig aufgezeichnetes Telefonat der damaligen amerikanischen Außenministerin Hillary Clinton; zweitens soll nach Medienberichten zu den betreffenden Dokumenten eine Kopie des „Auftragsprofils“ des deutschen Auslandsnachrichtendienstes gehört haben, aus dem hervorgeht, dass die Bundesregierung die Türkei nachrichtendienstlich überwachen lässt.
Vor allem Abgeordnete der Oppositionsparteien, unter ihnen die parlamentarischen Geheimdienst-Kontrolleure Christian Ströbele (Grüne) und André Hahn (Linkspartei), hatten sich am Wochenende empört darüber gezeigt, dass der BND amerikanische Politiker ins Visier nehme und das Nato-Partnerland Türkei ausspähe. Sie hatten das Urteil der Bundeskanzlerin aus dem vergangenen Oktober in Erinnerung gerufen, die damals gesagt hatte, „Ausspähen unter Freunden, das geht gar nicht“. Die Stellvertretende Regierungssprecherin Christiane Wirtz sagte am Montag, Merkels Bemerkung sei damals ausschließlich auf die Späh-Aktivitäten des amerikanischen Abhördienstes NSA in Deutschland bezogen gewesen. Überdies habe eben von den jetzt bekanntgewordenen Sachverhalten das Parlamentarische Kontrollgremium seit Juli „teilweise“ gewusst.
Telefonate von Freunden werden mitgefischt
Der Bundesnachrichtendienst ist verpflichtet, über wesentliche Vorgänge bei der „SigInt“-Informationsgewinnung (es handelt sich dabei um das satellitengestützte Auffangen von Telefonaten im Ausland) die Parlamentarier des Kontrollgremiums zu informieren – die Stellungnahme der Bundesregierung soll offenkundig andeuten, dass dieser Verpflichtung mindestens in Teilen Genüge getan worden sei.
Das Satelliten-Erfassungssystem des BND fängt Telefongespräche aus jenen Regionen auf, für die der Dienst sich nach Anweisung der Bundesregierung interessieren soll. Dabei ist es technisch nicht zu vermeiden, dass auch Telefongespräche von politischen Akteuren erfasst werden, die nicht aus dem Ausspähungsgebiet stammen. Mit diesen, umgangssprachlich „Beifang“ genannten Aufzeichnungen muss jedoch besonders verfahren werden; die Dienstordnung des BND sieht vor, dass sie vernichtet werden, nachdem die unbeabsichtigten Aufzeichnungen erkannt worden sind.
Bundesregierung sieht berechtigtes Sicherheitsinteresse gegenüber der Türkei
Die Ausspähung des Nato-Partners Türkei hingegen geht nicht auf eine Entscheidung innerhalb des BND zurück; sie beruht auf dem „Auftragsprofil“, welches das Kanzleramt und die an den Erkenntnissen des BND interessierten Ministerien regelmäßig erstellen. Die Regierung teilte mit, dieses als geheim eingestufte Auftrags-Dokument werde etwa alle vier Jahre neu zwischen dem Kanzleramt, dem Auswärtigen Amt, dem Verteidigungsministerium und dem Wirtschaftsministerium abgestimmt. Die geltende Fassung stammt aus dem Jahr 2009, sie wurde 2011 aktualisiert.
Eine Novelle des „Auftragsprofils“ soll gegenwärtig in Arbeit sein. Es enthält eine Aufzählung jener Länder, denen gegenüber die Bundesregierung ein besonderes Sicherheitsinteresse geltend macht, und denen gegenüber der Bundesnachrichtendienst deswegen auch geheimdienstliche Mittel einsetzen darf.
Parlamentarischer Untersuchungsausschuss beschäftigt sich mit „Beifang“
Ob die Mitglieder des gegenwärtigen Parlamentarischen Kontrollgremiums (welches in der aktuellen Zusammensetzung erst seit einem Dreivierteljahr arbeitet) davon wussten oder wissen konnten, dass die Türkei zu den Aufgabengebieten des BND gehört, blieb am Montag offen. Die Regierung gab an, das Kontrollgremium werde zügig alle ihm noch nicht bekannten Informationen erhalten. Auch der Parlamentarische Untersuchungsausschuss des Bundestages, der sich mit den Aktivitäten des amerikanischen NSA-Dienstes in Deutschland befassen soll, will sich mit den „Beifängen“ des BND beschäftigen, welche amerikanische Politiker betreffen.
Der stellvertretende Vorsitzende des Untersuchungsausschusses, der SPD-Abgeordnete Christian Flisek, zeigte Verständnis dafür, dass die Türkei ein Berichterstattungsgebiet des BND sei. Flisek argumentierte auch, es gebe einen Unterschied zwischen dem wichtigen Nato-Partner Türkei und der Freundschaft Deutschlands zu den Vereinigten Staaten oder Frankreich. Ähnlich äußerten sich im Blick auf die Türkei die Unions-Abgeordneten Andreas Schockenhoff und Hans-Peter Uhl.