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Zensur in China : Das kafkaeske System der schwarzen Listen

Ein Internet-Café in Peking Bild: dpa

Immer häufiger greifen Chinas Behörden zu außergerichtlichen Bestrafungen. Jüngstes Beispiel sind die neuen Regeln gegen die Verbreitung von Gerüchten im Internet.

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          China findet immer mehr Gefallen an einer außergerichtlichen Form der Bestrafung: schwarzen Listen. Jüngstes Beispiel ist der Entwurf für neue Regularien für Internetnutzer und Anbieter von Onlineinformationsdiensten. Wer Gerüchte verbreite oder „gegen die öffentliche Moral, ethisches Wirtschaften oder guten Willen“ verstoße oder solchen Personen technische Unterstützung anbiete, der solle künftig auf eine schwarze Liste kommen, heißt es in dem Entwurf der Internetaufsichtsbehörde.

          Friederike Böge
          Politische Korrespondentin für China, Nordkorea und die Mongolei.

          Die Folge: Die Betroffenen dürften das Internet dann nur noch eingeschränkt nutzen. Mitarbeiter von Internetanbietern sollen drei Jahre lang keine Beschäftigung in der Branche mehr annehmen dürfen. Unternehmen könnte sogar die Geschäftslizenz entzogen werden.

          Eine Frage der Definition

          Der Begriff „Gerüchte” wird in China weit ausgelegt. Er beinhaltet jene Wahrheiten, die der Kommunistischen Partei nicht passen, zum Beispiel über den Machtmissbrauch lokaler Parteikader. Dem Menschenrechtsanwalt Li Jinxing wurde gerade wegen „unzulässiger Bemerkungen im Internet“ die Anwaltslizenz entzogen. Das geschah immerhin durch ein Gericht. Li hat Berufung dagegen eingelegt.

          Dass die Verbreitung von „Gerüchten“ im Internet verboten ist, ist nicht neu. Schon jetzt kann sie mit Haft von bis zu sieben Jahren bestraft werden. Doch über die schwarzen Listen entscheiden keine Gerichte, sondern die zuständigen Behörden. In immer neuen Bereichen finden sie Anwendung. Zahlreiche Kommunen haben nun eigene schwarze Listen, die jeweils völlig unterschiedlich definiert sind. Die Staatsbahn nutzt sie, um Fahrgäste zu bestrafen, die im Zug rauchen, Tickets fälschen oder Sachbeschädigung begehen. Chinas Gerichte nutzen schwarze Listen, um Druck auf Personen auszuüben, die zu einer Geldstrafe verurteilt wurden und diese nicht gezahlt haben. Letzteres betrifft mehrere Millionen Menschen, für die Einschränkungen beim Kauf von Bahn- und Flugtickets, der Buchung von teuren Hotelzimmern und der Anmeldung ihrer Kinder an Privatschulen gelten. 

          Aufbau eines Sozialkreditsystems

          Die schwarzen Listen sind Teil des sogenannten Sozialkreditsystems, das China bis 2020 auf nationaler Ebene aufgebaut haben will. Es vermischt strafrechtliche Vergehen und Verhaltensweisen, die aus moralischen oder politischen Gründen abgelehnt werden.

          In vielen Fällen ist es für die Betroffenen völlig unklar, wie sie von der schwarzen Liste wieder herunterkommen können oder wo sie in dem kafkaesken System Einspruch gegen die Bestrafung erheben können. 

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