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Profikämpfer über Putin : „Das ist eine Karikatur von Männlichkeit“

Wladimir Putin während einer Trainingseinheit mit der russischen Judo-Nationalmannschaft in Sotschi 2019 Bild: Picture Alliance

Wladimir Putin gibt sich als starker Judokämpfer. Doch mehrere Weltverbände haben ihm wegen seiner Verbrechen Ehrungen aberkannt. Und für den Schweizer Profikämpfer Peter Mettler sind Putins Machoallüren weder stark noch männlich.

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          Herr Mettler, Sie haben ein blaues Auge, was ist passiert?

          Justus Bender
          Redakteur in der Politik der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung.

          Ich habe im Training das Knie von einem Riesentypen ins Gesicht bekommen, der wog 125 Kilogramm. Glücklicherweise hatte ich keine Gehirnerschütterung.

          Andere Frage, nicht despektierlich gemeint: Warum sehen Ihre Ohren aus wie Blumenkohl?

          Das kommt vom Ringen. Da presst man seine Stirn oft gegen das Ohr des Gegners, so entstehen Einblutungen, die sich verhärten. Meistens denken die Leute, ich hätte einen Autounfall gehabt.

          Sie waren Weltmeister im Ringen, Profi-MMA-Kämpfer und leiten eine Kampfsportschule in der Schweiz. Was machen Sie, wenn ein Halbstarker ins Training kommt und anderen wehtut?

          Den nehm’ ich kurz zur Seite und sprech’ mit ihm. Manchmal zeige ich ihm auch physisch die Grenzen auf, damit er merkt, dass es Widerstand gibt. Häufig sind echte Kämpfer aber sehr warmherzig, liebevoll und offen, weil sie sich aufgrund ihrer körperlichen und inneren Stärke nicht angegriffen fühlen müssen. Das ist ein bisschen wie mit Hunden. Die kleinen Chihuahuas kläffen und beißen einem in die Wade. Die großen Bernhardiner haben die Ruhe weg.

          Bestrafen Sie Ihre Kämpfer auch für Fehlverhalten außerhalb des Sports?

          Ja. Wer sich draußen schlecht benimmt, bekommt schnell eine Ansage von mir. Im schlimmsten Fall muss ich jemanden ausschließen. Mein Trainer hat mich, als ich jung war, auch mal eine Woche rausgeschmissen. Danach habe ich mich viel anständiger benommen.

          Wladimir Putin wurde gerade ähnlich rausgeworfen, er ist Schwarzgurtträger im Judo. Ihm wurde die Ehrenpräsidentschaft des Weltjudoverbandes aberkannt. Auch der Taekwondoverband nahm ihm seinen Ehren-Schwarzgurt weg, und seinen olympischen Orden verlor er auch. Vertragen sich Kampfsport und Angriffskrieg nicht?

          Entschuldigung, ich erwarte von einem Kampfkünstler, dass er alten Omis über die Straße hilft. Und ich werfe ihn vielleicht raus, wenn er sich auf dem Schulhof prügelt. Wir reden bei Putin von jemandem, der Zehntausende Menschen in Leid und Unglück gestürzt hat. Etwas Schlimmeres kann ein Mensch nicht tun. Das ist das Gegenteil von jeglichem moralischen Ehrenkodex. Das ist absolut unfassbar.

          Peter Mettler
          Peter Mettler : Bild: privat

          Im Vorspann eines Lehrvideos für Judokämpfer sagt Putin: „Ich hatte das Glück, von Kindheit an in die wunderbare Welt des Mutes, der Aufrichtigkeit und der Fairness einzutreten, in eine Welt, in der nicht nur körperliche Kraft, sondern auch menschliche Qualitäten sehr wichtig sind.“ Sie lachen, während ich das vorlese, warum?

          Das ist Hohn der übelsten Weise. Und es ist besonders verwerflich, wie sich die schlimmsten Männer immer wieder den Anschein von Ehrwürdigkeit geben.

          Putin sagte mal, Judo habe ihm geholfen, sich als Jugendlicher „im Rudel zu behaupten“, er sei ein „Hooligan“ gewesen. Was würden Sie einem Schüler sagen, der so redet?

          Ich versuche solchen Irrungen immer auch mit Liebe und Verständnis zu begegnen, anstatt mit Ablehnung und Aggression. Das haben solche Menschen schon viel zu oft erlebt, deshalb sind sie für solche Irrungen erst empfänglich geworden. Wenn wir verletzte junge Männer sind, reden wir uns häufig ein, dass uns das hart und stark gemacht hat. Aber je mehr wir uns selbst analysieren, umso mehr merken wir, dass das Schutzmechanismen sind wie bei einem verletzten Tier, das die Krallen ausfährt. Wahre Männlichkeit ist eine Stärke, die beschützt, pflegt und erbaut. Wer ein echter Kämpfer sein will, greift niemanden auf der Straße an. Das ist ohne Ehre. Wer sich messen will, kann das im Ring tun, gegen würdige Gegner.

          Putin zeigt sich gerne beim Judotraining, wie er Leute zu Boden wirft, oder bei der Jagd mit freiem Oberkörper.

          Das ist eine Karikatur von Männlichkeit. Natürlich versucht er damit jene verletzten Männer zu beeindrucken, die Wärme und Liebe als Schwäche auslegen. Jemand wie Putin hat seine Lektion nicht gelernt, sonst hätte er gar nicht erst das Bedürfnis, so viel Leid zu verursachen, nur um noch mehr Macht zu haben. Putin hat ja schon lange genug, ein Privatvermögen von mehreren Milliarden, alles, was sich ein Mensch wünschen könnte, außer den Frieden, den er nicht finden wird, wenn er nicht bereit ist, zu wachsen. Man braucht auch Vorbilder. Wenn ich an die kräftigen Hände meines Vaters denke, erinnere ich mich immer auch an ihre Wärme.

          Im russischen Machismo steckt ein Vorwurf an die angeblich verweichlichten Männer des Westens. Sie sind gegen Kämpfer aus Sibirien oder Tschetschenien angetreten. Sind die härter?

          Ich habe gelernt, dass die Menschen überall ganz genau gleich sind. Alle kochen nur mit Wasser. Und alle sind genau die gleichen Menschen. In manchen Kulturen gibt es vielleicht mehr Kämpfer, weil das in armen Ländern ein Weg ist, Geld zu verdienen. Aber abgesehen von diesen kleinen Verschiebungen sind wir alle gleich.

          Was ist mit uns Normalbürgern? Sind wir im Frieden verweichlicht worden und müssen wieder lernen, wehrhaft zu sein?

          Nein. Ich würde sagen, jeder Mensch muss lernen, sich zu wehren. Aber ich finde es schon interessant, dass es immer diese paradoxen Behauptungen gibt. Einerseits sagen manche, es gebe heute viel mehr Gewalt als früher. Und dann sagen sie auch, die Gesellschaft sei verweichlicht. Beides geht nicht. In Wahrheit ist die Gesellschaft heute viel friedlicher als früher. Deshalb wirken einzelne Gewalttaten schockierender. Eine Schulhofprügelei ist heute bereits eine größere Sache. Wir sollten unbedingt weich bleiben, diese Sanftheit weiter fördern und auch einer politischen und medialen Strömung entgegenstehen, die Angst und Spaltung verbreitet. Und zwar mit Mut und Wärme und liebevollem Umgang.

          Putin 2019 in Sotschi bei einem Fototermin mit der russischen Judo-Nationalmannschaft
          Putin 2019 in Sotschi bei einem Fototermin mit der russischen Judo-Nationalmannschaft : Bild: Picture Alliance

          Über menschliche Konflikte wird oft mit Wörtern gesprochen, die aus dem Kampfsport kommen. „Angriff“ und „Niederlage“ sind Begriffe des Ringens, „weiße Weste“ kommt vom Fechten, „das Handtuch werfen“ vom Boxen. Lässt sich im Sport was über das Leben lernen?

          Hundertprozentig. Kampfkunst ist die perfekte Metapher, weil sie dieselben strategischen Aspekte enthält wie jeder Konflikt, von der Gehaltsverhandlung bis zum Krieg.

          Sie waren lange Türsteher. Was machen die meisten Menschen, wenn sie angegriffen werden?

          Mehr als neunzig Prozent frieren ein und machen gar nichts. Vorher sagen fast alle, sie würden dies oder das tun, und dann tun sie nichts: Sie kauern sich auf dem Boden zusammen und schützen ihre Organe. Es ist unheimlich schwierig, zurückzuschlagen. Die Angst lähmt einen. Viele sind wie Rehe im Scheinwerferlicht.

          Wenn manche sagen, die Ukraine solle sich doch einfach ergeben, dann sei alles schnell vorbei, ist das dann ein ähnlicher Instinkt?

          Eine gute Frage. Ja, ich glaube schon. Es ist dieses Einfrieren, aber es ist auch ein Werteverfall. Die meisten Menschen leben auf Autopilot, von einem Urlaub zum nächsten. Wenn da ein Ukrainer sagt, „lieber gebe ich mein Leben als meine Freiheit“, dann ist das eine unglaublich provokante Position. Das ist der extremste Standpunkt, den ein Mensch haben kann. Und wahrscheinlich finden das viele hierzulande komplett bescheuert. Die sagen: „Lieber ein lebendiger Feigling als ein toter Held.“ Es gibt aber auch eine andere Meinung: Tot sind wir irgendwann sowieso. Aber nur die wenigsten von uns sind dann tote Helden.

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