Putins Ambitionen : „Ich denke dabei nicht nur an die Krim“
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Sowjetstern auf dem Erlöserturm des Moskauer Kremls Bild: Picture-Alliance
Wladimir Putin hat aus seinem Ziel, Russland zu alter Größe zu führen, nie einen Hehl gemacht. Doch der Westen hat nicht zugehört, hat ihn nicht ernst genommen – und auf eine Annäherung durch wirtschaftliche Entwicklung gesetzt.
Wladimir Putin hatte lange geschwiegen. Doch dann mischte er die Runde der Politiker, Wissenschaftler, Diplomaten und Journalisten mächtig auf. Niemand habe die Liquidierung des sowjetischen Imperiums bewusst angestrebt, das sei abwegig, sagte er. Die kommunistische Parteiführung unter Michail Gorbatschow habe mit ihren „ungeschickten Handlungen“ den Zerfall der Sowjetunion leider herbeigeführt. Die Folge sei, dass nun plötzlich 25 Millionen Russen im Ausland lebten. „Russland kann es sich einfach nicht leisten - allein schon im Interesse der Sicherheit in Europa -, dass diese Menschen willkürlich ihrem Schicksal überlassen bleiben“, fuhr Putin in emotionalem Ton fort.
Er appellierte an seine Zuhörer aus dem Westen: „Vergessen Sie nicht, dass Russland im Interesse der allgemeinen Sicherheit und des Friedens in Europa freiwillig riesige Territorien an die ehemaligen Republiken der Sowjetunion abgegeben hat; darunter auch solche Territorien, die historisch immer zu Russland gehört haben.“ Welche Territorien hatte Putin im Sinn? Er sagte: „Ich denke dabei nicht nur an die Krim oder an Nordkasachstan, sondern beispielsweise auch an das Kaliningrader Gebiet.“
Nicht nur, aber auch die Krim. Es klingt wie eine jener auftrumpfenden Reden, die der Präsident seit Monaten hält. Aber die Worte sind viel älter, sie stammen vom März 1994. Damals fand im Gästehaus der Stadt St. Petersburg eine Tagung der Körber-Stiftung zum Thema „Russland und der Westen“ statt. Putin war 41 Jahre alt, er hatte neunzehn Jahre lang beim Geheimdienst gearbeitet und war seit zwei Jahren Vize-Bürgermeister von St. Petersburg. Kein Mensch kannte ihn. „Wladimir W. Putin, Jahrgang unbekannt“ stand auf der Teilnehmerliste.
Was demokratisch ist, hat nicht der Westen zu entscheiden
Zwanzig Jahre später ist die Krim wieder ein Teil Russlands. Kaliningrad ist zwar noch eine Exklave, ohne Verbindung zu Russland, aber bestens gerüstet. Von dort zielen Kurzstreckenraketen Richtung Westen. Und Kasachstan ist wirtschaftlich so eng an Russland gebunden wie nur irgend möglich: über die Eurasische Wirtschaftsunion.
Man kann Wladimir Putin nicht vorwerfen, dass er verschwiegen hätte, wohin er sein Land führen will. Der Fehler liegt im Westen: Er hat einfach nicht richtig zugehört.
Im April 2005 hat Putin das Ende der Sowjetunion die „größte geopolitische Katastrophe des Jahrhunderts“ genannt. Sein Bedauern war echt, aber es hatte nichts zu tun mit kommunistischer Nostalgie. Aus Putin sprach ein KGB-Agent, der die verlorene Größe des Imperiums beklagte. Und sich nicht damit abfinden wollte.
In Deutschland gaben sich Russlandversteher lange der Illusion hin, Putin wolle am Ende doch so etwas wie eine westliche Demokratie für Russland. Doch dafür ist in dem KGB-Staat, den Putin geschaffen hat, kein Platz. Es gilt der Grundsatz der „souveränen Demokratie“: Der Westen hat kein Recht, darüber zu entscheiden, was demokratisch ist und was nicht. Er nutzt Demokratie und Menschenrechte nur, um Russland zu schwächen - davon ist die russische Führung überzeugt. Putins enger Gefolgsmann Sergej Iwanow sprach nicht von souveräner, sondern von „östlicher Demokratie“.
Das Brüllen eines zahnlosen Tigers?
Was das heißt, konnte man in den letzten Jahren zur Genüge beobachten: Präsidenten- und Parlamentswahlen wurden gefälscht, nicht ganz so plump wie in Weißrussland, doch letztlich bestimmte stets der Kreml das Ergebnis. Manchmal ging das daneben, etwa wenn Tschetschenien fast hundert Prozent Zustimmung für Putin meldete. Der Westen hat all das gesehen. Und sich damit beruhigt, dass Putin die Wahlen wohl auch gewonnen hätte, wenn ehrlich gewählt worden wäre.
Putin und seine Führungsgruppe aus den Geheimdiensten entwarfen derweil ihre strategischen Ziele. Sie wollten die russische Nation ideologisch erneuern, setzten auf Patriotismus und auf die russisch-orthodoxe Religion. Sie wollten, dass Russland in den Staaten, die aus der ehemaligen Sowjetunion hervorgingen, die bestimmende Macht ist. Der Westen musste auf Distanz gehalten werden. Sie wollten die Nachbarstaaten in eine wirtschaftliche und politische Abhängigkeit bringen. Bis zum Ende der Dekade sollte eine neue Weltordnung entstehen, in der die Vereinigten Staaten nicht mehr dominieren.