Proteste gegen Polizeigewalt : Amerika kommt nicht zur Ruhe
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Demonstranten ziehen am Sonntag an dem Schnellrestaurant in Atlanta vorbei, vor dem Rayshard Brooks am Freitagabend kontrolliert wurde. Bild: EPA
Nach dem Tod des Afroamerikaners Rayshard Brooks bei einem Polizeieinsatz gibt es neue Demonstrationen. Die Bürgermeisterin von Atlanta äußert Zweifel an der Verhältnismäßigkeit der tödlichen Schüsse.
Noch im Laufe dieser Woche will die Staatsanwaltschaft in Atlanta darüber entscheiden, ob sie gegen den Polizisten Anklage erhebt, der am Freitagabend bei einem Einsatz den 27 Jahre alten Afroamerikaner Rayshard Brooks erschossen hat. Vor der Entscheidung sollten noch zwei Zeugen gehört werden, teilte der Bezirksstaatsanwalt Paul Howard mit. Brooks scheine für niemanden eine Bedrohung dargestellt zu haben, sagte er. Die Tatsache, dass die Situation bis zu seinem Tod eskaliert sei, erscheine „einfach unangemessen“. Möglich sei eine Anklage wegen Mordes oder fahrlässiger Tötung.
Der Tod des Mannes infolge einer Polizeikontrolle führte abermals zu gewalttätigen Ausschreitungen in der Hauptstadt des Bundesstaates Georgia im Südosten der Vereinigten Staaten, und er befeuerte die Debatte über Polizeigewalt. Zu neuerlichen Demonstrationen kam es unter anderem auch in Washington, New York und Los Angeles. Der tödliche Polizeieinsatz gegen George Floyd in Minneapolis vor zwei Wochen hatte die schwersten Unruhen in Amerika seit mehr als über fünfzig Jahren ausgelöst.
Videoaufnahmen der Ereignisse am Freitagabend zeigen die Konfrontation zweier weißer Polizisten mit Brooks. Die Obduktion ergab, dass er an Organschäden und Blutverlust durch zwei Schussverletzungen im Rücken starb – man hatte ihn noch ins Krankenhaus gebracht und zu operieren versucht.
Eine Elektroschockpistole gilt nicht als tödliche Waffe
Brooks war am Steuer seines Wagens eingeschlafen, als er in der Schlange eines Drive-through-Schnellrestaurants wartete. Die Körperkamera des ersten am Einsatzort eintreffenden Polizisten hielt den weiteren Verlauf der Ereignisse fest: Brooks wurde in seinem Fahrzeug aufgeweckt und angewiesen, sein Auto außerhalb der Schlange zu parken. Er sagte aus, etwas getrunken zu haben. Die Unterhaltung verlief zunächst in ruhigem Ton, sie dauerte mehr als zwanzig Minuten. Die Frage, ob er eine Waffe bei sich trage, verneinte er. Dann willigte er ein, abgetastet zu werden.
Um einen Nüchternheitstest durchzuführen, wurde ein zweiter Beamter zum Einsatzort bestellt. Die Polizisten stellten fest, dass Brooks zu viel getrunken hatte, und wollten ihn in Gewahrsam nehmen. Beim Versuch, ihm Handschellen anzulegen, wehrte sich Brooks plötzlich und versuchte, wegzulaufen. Bei dem Handgemenge fielen die drei Männer zu Boden. In der Auseinandersetzung gelang es Brooks, die Elektroschockpistole eines Beamten zu greifen und sich zu befreien. Er lief davon, einer der Beamten folgte ihm. Als Brooks versuchte, mit der Elektroschockpistole auf den Verfolger zu schießen, zog dieser seine Waffe und gab drei Schüsse ab.
„Das hätte niemals in seinen Tod münden dürfen“
Chris Stewart, der Anwalt der Familie Brooks, wies darauf hin, dass ein „Taser“, eine Elektroschockpistole, rechtlich nicht als tödliche Waffe eingestuft werde. In dem Video der Polizei sei zudem zu sehen, dass Brooks zunächst höflich gewesen sei. Er hätte einfach angewiesen werden können, ein Uber nach Hause zu nehmen. „Das hätte niemals in seinen Tod münden dürfen“, sagte Stewart.
Auch die Bürgermeisterin von Atlanta, Keisha Lance Bottoms, äußerte Zweifel an der Verhältnismäßigkeit. Die Polizei hätte ihn nach Hause schicken können, sagte sie. Der Afroamerikanerin war es Ende Mai, nach dem Tod George Floyds in Minneapolis, gelungen, die gewalttätigen Ausschreitungen in ihrer Stadt zu stoppen. Nach zwei Tagen der Randale gewannen in der mehrheitlich von Afroamerikanern bewohnten Metropole die friedlichen Demonstranten wieder die Oberhand. Nach dem Vorfall vom Freitag trat die Polizeipräsidentin Erika Shields auf Wunsch Bottoms’ von ihrem Posten zurück. Der Polizist, der die Schüsse abgegeben hatte, wurde entlassen, der Kollege vorläufig suspendiert.
Unterdessen teilte der Oberste Gerichtshof mit, dass er sich vorerst nicht mit der „qualifizierten Immunität“ von Polizeibeamten befassen werde. Eine Anhörung zu entsprechenden Fällen werde es nicht geben.