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Strafgerichtshof : Zwei Staaten, ein Gericht

Zuständig oder nicht? Das Gebäude des Internationalen Strafgerichtshofs in Den Haag Bild: AP

Die Vorermittlungen laufen. Es geht um mögliche Kriegsverbrechen beider Seiten im Gaza-Krieg. Darf der Strafgerichtshof darüber befinden? Israel und Deutschland sagen nein.

          4 Min.

          Die palästinensische Führung trägt ihren Kampf um Selbstbestimmung und Recht vor allem in internationalen Organisationen aus. Einen ihrer größten Erfolge auf diesem Feld hatte sie 2012, als 138 Mitgliedstaaten Palästina den Status eines „Beobachterstaates“ bei den UN gaben. Das hat die Palästinenser einem eigenen Staat nicht näher gebracht, zumal nur der UN-Sicherheitsrat über die Aufnahme neuer Mitgliedstaaten entscheiden darf, wo ein Veto Amerikas zu erwarten wäre. Doch hat die Aufwertung den Palästinensern Zugang zu einer Reihe internationaler Organisationen verschafft.

          Jochen Stahnke
          Politischer Korrespondent für China, Taiwan und Nordkorea mit Sitz in Peking.

          So wurde Palästina 2015 Mitglied des Internationalen Strafgerichtshofs, der dies unter Verweis auf dessen Status als UN-Beobachterstaat gestattete. Umgehend übertrug Palästina die Untersuchung über mögliche Kriegsverbrechen auf eigenem Territorium nach Den Haag. Daraufhin eröffnete Chefanklägerin Fatou Bensouda Vorermittlungen zu möglichen Kriegsverbrechen sowohl Israels als auch der Hamas im Gaza-Krieg. Ende 2019 verkündete Bensouda, es gebe ausreichende Beweislast für die Aufnahme von Ermittlungen über die „Situation in Palästina“ und bezog sich auf das besetzte Westjordanland, Ostjerusalem und den Gazastreifen. Bensoudas Ermittlungen betrafen auch Israels Siedlungspolitik, die viele Völkerrechtler als Kriegsverbrechen im Sinne eines illegalen Transfers von Zivilbevölkerung in besetztes Gebiet werten.

          Die Frage jedoch, über welches Territorium der Strafgerichtshof Recht sprechen dürfe, gab die Chefanklägerin weiter an die Vorverfahrenskammer, welche die Zulässigkeit einer Anklage prüft. Israel, das dem Gerichtshof nicht beigetreten ist, lehnt die Zulässigkeit der Anklage ab – weil Palästina nicht die Kriterien eines Staates erfülle. Palästina widerspreche sich, wenn es als Staat wahrgenommen werden wolle, aber gleichzeitig von einem eigenen Staat im Futur spreche, wie Israels Generalstaatsanwalt darlegte. Deswegen gebe es weder einen palästinensischen Souverän noch palästinensische Gerichtsbarkeit über Israelis, Jerusalem oder die Gebiete im Westjordanland, wo sich die israelischen Siedlungen befinden. Somit könnten die Palästinenser auch keine Gerichtsbarkeit an Den Haag übertragen.

          Der deutsche „Freund des Gerichts“ hilft Israel

          Nun ist Deutschland dieser Linie Israels gefolgt. Als sogenannter „Freund des Gerichts“ (Amicus Curiae) werde Berlin dem Gericht seine Rechtsauffassung darlegen, wonach keine Staatlichkeit Palästinas gegeben sei, diese aber eine Voraussetzung für die Haager Gerichtsbarkeit wäre, sagte ein Sprecher des Auswärtigen Amts. Deutschland hat sich damit zum ersten Mal überhaupt in ein laufendes Verfahren des Gerichtshofs eingeschaltet. Und ist der einzige große EU-Staat, der sich so offensiv verhält.

          Dies hat auch im Auswärtigen Amt manche verwundert. Noch Ende Dezember, nach Abschluss der Vorermittlungen, hatte die Sprecherin des Amtes gesagt: „Wir vertrauen auf die Unabhängigkeit des Internationalen Strafgerichtshofes und setzen nun darauf, dass das Gericht die aufgeworfenen Fragen klären wird.“ Gleichzeitig sei man dagegen, dass Fälle jedweder Art vor dem Gericht zu einer Politisierung benutzt werden. Diese These wiederholte Berlin diese Woche: Man sei gegen eine Politisierung des Haager Gerichts. Ein palästinensischer Staat und entsprechende Grenzen könnten nur in direkten Verhandlungen zwischen Israelis und Palästinensern erreicht werden, nicht über Festlegungen des Gerichtshofs.

          Deutschland hat mit seiner Entscheidung einer Politisierung allerdings sogar Vorschub geleistet. In Israel jedenfalls gewinnt die von Außenminister Heiko Maas angestoßene Erklärung höchstes politisches Gewicht. Israel lehnt den Strafgerichtshof zwar ab, doch erkennt es dessen Bedeutung. So verwiesen israelische Minister immer wieder auf mögliche Ermittlungen vor dem Strafgerichtshof, wenn sie begründen mussten, warum etwa das in strategisch wichtiger Lage hinter Jerusalem liegende palästinensische Dorf Khan al Ahmar trotz israelischer Ankündigungen noch nicht dem Erdboden gleichgemacht worden ist.

          „Diese Frau aus Gambia“: Chefanklägerin Fatou Bensouda
          „Diese Frau aus Gambia“: Chefanklägerin Fatou Bensouda : Bild: dpa

          Ministerpräsident Benjamin Netanjahu dankte den Staaten, die sich gegen eine Gerichtsbarkeit des Gerichtshofs in den besetzten Gebieten aussprechen: Neben Deutschland sind dies Uganda, Ungarn, die Tschechische Republik, Österreich, Australien und Brasilien. Die Erklärungen dieser Staaten „wurden nach großen diplomatischen Anstrengungen von meiner Seite, dem israelischen Sicherheitsrat und dem Außenministerium getroffen“, sagte Netanjahu. Knesset-Präsident Juli Edelstein lobte die deutsche Erklärung und verwies darauf, dass er dieses Thema kurz zuvor in Berlin bei Außenminister Maas angesprochen habe. Bensoudas Ermittlungen nannte Edelstein einen „ungeheuerlichen Ansatz dieser Frau aus Gambia“.

          Palästinenser sind fassungslos

          Auf palästinensischer Seite reagiert man mit Fassungslosigkeit auf den Schritt Deutschlands, das nicht nur als Säule der EU, sondern auch als Verfechter des Multilateralismus und Unterstützer der Internationalen Gerichtsbarkeit wahrgenommen wird. Die Politikerin Hanan Ashrawi äußerte: „Palästina zu bestrafen ist keine Sühne“ (für die deutsche Vergangenheit). Der palästinensische Verhandlungsführer Saeb Erekat sagte dieser Zeitung: „Ist dem deutschen Außenministerium nicht bewusst, dass es konkrete Annexionspläne gibt und Israel nur die Bedenken vor dem Strafgerichtshof davon abhalten?“

          Er verstehe nicht, warum Berlin zu dieser Entscheidung gekommen sei. „Wir ersuchen Deutschland nicht um Erlaubnis, um als Staat existieren zu dürfen“, so Erekat. Wenn Berlin meine, Israel habe ein Vetorecht über palästinensische Staatlichkeit, solle es dies sagen. „Aber das widerspricht der klaren deutschen Haltung über die Illegalität israelischer Siedlungen, die Zweistaatenlösung und über internationales Recht.“ Wer nichts gegen die Straflosigkeit der Besatzung tun wolle, so Erekat, „der sollte wenigstens keine Schritte unternehmen, um Gerechtigkeit zu verhindern“.

          Nun müssen die Haager Richter entscheiden. Entweder richten sie sich gegen die deutsche Haltung und entscheiden für die eigene Zuständigkeit. Dann hätte Deutschland die Stellung des von ihm selbst mit ins Leben gerufenen und maßgeblich finanzierten Gerichtshofs geschwächt. Sollte die Entscheidung anders ausfallen, wäre schwer zu ermitteln, ob dies auf deutsches Betreiben hin geschah. Berlin hat sich mit dieser Entscheidung keinen Gefallen getan.

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