Klimakonferenz in Glasgow : Die bittere Pille in letzter Sekunde
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COP26-Präsident Alok Sharma (M.) am Samstag in Glasgow im Gespräch mit dem amerikanischen Klimabeauftragten John Kerry (r.) und dem chinesischen Verhandler Xie Zhenhua Bild: AP
Indien hat auf der Klimakonferenz in letzter Sekunde ein Bekenntnis zum Ausstieg aus der Kohle verhindert, und die Entwicklungsländer warten weiterhin auf Kompensation für Klimaschäden. Dennoch: In Glasgow ist viel gelungen.
Als das Ende abzusehen ist, wirken die Verhandler erleichtert, einige machen ein Gruppenfoto. Es ist Samstagabend, die Klimakonferenz ist seit mehr 24 Stunden in der Verlängerung, viele haben nicht geschlafen. Bis auf Sandwichs und Wasser gibt es auf dem Scottish Event Campus in Glasgow nichts zu essen und trinken, die Stände und Länderpavillons werden längst abgebaut. Gerade ist die inoffizielle Aussprache zu Ende gegangen, bei der fast alle Staaten und Staatengruppen ihre Zustimmung zugesichert haben – wenn auch zähneknirschend. Den einen geht das, was als konsensfähig gilt in Schottland, nicht weit genug, den anderen geht es viel zu weit. Um die Einigung nicht zu gefährden, schlucken die meisten ihren Zorn runter.
Einzig Indien hat tatsächlich in letzter Sekunde noch einen Änderungswunsch geäußert. Das Land ist im erheblichen Maße auf Kohlekraftwerke angewiesen und kämpft nun schon seit Stunden gegen die Erklärung, die einen weltweiten Ausstieg festhält.
Für die britische Präsidentschaft der Klimakonferenz ist es eine schwierige Situation. Alle sind bereits an ihr Limit gegangen, rechnen damit, dass sich der Beschlusstext nicht mehr ändert; es gilt das Prinzip der Einstimmigkeit. Es ist nicht so, dass bei Klimakonferenzen die Einwände einzelner Staaten noch nie übergangen worden wären. Vom „Durchhämmern” des Konferenzpräsidenten ist dann die Rede, er tut so, als höre er die Meldung eines Landes nicht. Aber Indien in einer so wichtigen Frage wie dem Kohleausstieg zu übergehen, könnte dazu führen, dass sich das Land klimapolitisch isoliert, womöglich bei künftigen Abkommen Sturm läuft.
Gemeinsam mit dem britischen Chefverhandler Archie Young und einigen Mitarbeitern macht der britische Umweltminister und Konferenzpräsident Alok Sharma auf seinem Collegeblock Notizen – eine mögliche Einigung, um die Inder an Bord zu holen. Dann zieht er los. Spricht mit den Vertretern der Inselstaaten, mit Vertretern der G77-Entwicklungsländer und China, mit der klimapolitisch ambitionierten Ländergruppe um die Schweiz, mit John Kerry, dem Klimabeauftragten der USA, und Frans Timmermans, dem für Klima verantwortlichen Vizepräsidenten der EU-Kommission. Sharma will schon sein Mikro anschalten, wohl sagen, dass es jetzt losgeht mit der Abstimmung, da unterbricht ihn einer seiner Berater. Er geht zum indischen Umweltminister Bhupender Yadev, spricht wieder mit Kerry, wieder mit Yadev. Dann beginnt die offizielle Sitzung. „Es ist die Zeit der Entscheidung“, sagt Sharma. „Die Verhandlungen waren alles andere als einfach.“
Andere Länder sind verärgert
Indien präsentiert dann den mit der Präsidentschaft abgestimmten Vorschlag, dass nicht der Kohleausstieg beschlossen wird, sondern das Herunterfahren der Kohle. Die Schweiz ist verärgert, Liechtenstein spricht von einer „bitteren Pille“, die Umweltministerin Mexikos kritisiert mit bebender Stimme die späte Änderung und den „intransparenten und ausgrenzenden Prozess“. Andere Länder monieren, dass ihnen Änderungen vor zwei Tagen untersagt worden waren unter der Angabe, dass es schon eine Einigung gebe. Sharma, der stellenweise durch großes Verhandlungsgeschick in Glasgow geglänzt hat, entschuldigt sich, hält inne. Es gibt großen Applaus für ihn.
Dem offiziellen, ziemlich bürokratischen Verfahren folgend, beschließt Sharma ( „Ich höre keine Einsprüche“) per Hammerschlag die Abschlusserklärung und eine schier endlose Zahl von Änderungen in bestehenden Abkommen.
Auch wenn Sharma in erster Linie Zahl- und Buchstabenreihen mit Schrägstrichen vorliest – es gibt wieder viel Applaus. Geschafft und erleichtert wirken die Konferenzteilnehmer. Es ist durchaus ein historischer Moment, denn das 2015 in Paris geschlossene Klimaabkommen wird nun endlich mit verbindlichen Regeln versehen.