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Starke Verluste für Peronisten : Argentiniens Regierung erlebt ein Debakel

Der argentinische Präsident Alberto Fernández spricht am Sonntag in seiner Wahlkampfzentrale in Buenos Aires vor Anhängern der Partei „Front aller“. Bild: dpa

In Argentinien verlieren die regierenden Peronisten nach vierzig Jahren erstmals die Mehrheit im Senat. Aber nicht nur das dürfte Präsident Fernández künftig das Regieren schwer machen.

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          Der argentinische Präsident Alberto Fernández wird es künftig noch schwerer haben, sein Land zu regieren. Bei den Zwischenwahlen für das Parlament, bei denen die Hälfte der Abgeordneten und ein Drittel der Senatoren neu gewählt wurden, musste sein peronistisches Mitte-links-Bündnis eine herbe Niederlage einstecken. Bei der Wahl der Abgeordneten fielen 42 Prozent der Stimmen auf die Kandidaten der Opposition, knapp 34 auf die Peronisten.

          Tjerk Brühwiller
          Korrespondent für Lateinamerika mit Sitz in São Paulo.

          Noch deutlicher fiel die Wahl der Senatoren aus. Während die Peronisten im Unterhaus weiterhin knapp die stärkste Kraft bleiben, verlieren sie im Senat erstmals seit der Wiedereinführung der Demokratie nach der Militärdiktatur ihre Mehrheit, was die Regierung zu Zugeständnissen an die Opposition zwingt. Fernández’ Appell nach der Wahl war denn auch an die Opposition gerichtet, die er zur Verantwortung und zum Patriotismus aufrief, um „nationale Vereinbarungen“ zu finden und die Herausforderungen anzugehen.

          Mehr als fünfzig Prozent Inflation

          An Herausforderungen mangelt es nicht. Die Regierung findet keinen Ausweg aus der wirtschaftlichen Krise, die seit Jahren anhält und sich durch die Pandemie weiter vertieft hat. Eine Inflation von mehr als fünfzig Prozent über die letzten zwölf Monate frisst die Einkommen jener Argentinier auf, die noch eines haben. Mehr als vierzig Prozent leben in Armut und sind auf staatliche Hilfe angewiesen. Der Sinkflug der Landeswährung lässt sich trotz rigider Devisenkontrollen nicht aufhalten.

          Gleichzeitig ist es der Regierung bisher nicht gelungen, die Verhandlungen mit dem Internationalen Währungsfonds über die Umschuldung von Krediten in Höhe von rund 44 Milliarden Dollar voranzutreiben, um sich etwas Luft zu verschaffen. Fernández gab sich dennoch zuversichtlich und bezeichnete die Wahl als das „Ende einer schweren Etappe“, die von der Wirtschaftskrise und der Pandemie gezeichnet war.

          Der Triumph der Opposition, die unter dem Motto „Es reicht“ angetreten war, zeigt, dass das Vertrauen der Argentinier in die Regierung schwindet. Das Wahlergebnis gilt zudem als eine Absage an den radikalen Flügel des Regierungsbündnisses und damit an die frühere Präsidentin und heutige Vizepräsidentin Cristina Fernández de Kirchner. Kirchner, die in ihrem Amt zugleich dem Senat vorsitzt, gilt als die mächtigste Figur innerhalb der Peronistischen Partei.

          Ihr hat Fernández weitgehend seine Wahl vor zwei Jahren zu verdanken. Seit fast zwanzig Jahren nehmen die „Kirchneristen“ innerhalb der heterogenen Peronistischen Partei eine dominante Rolle ein. Einige politische Kommentatoren sehen in der Wahl vom Sonntag das Ende dieser Ära.

          Wie das Nachspiel der Wahl innerhalb der Peronistischen Partei ausfallen wird, bleibt abzuwarten. Schon nach den Vorwahlen im September hatte Kirchner Präsident Fernández für das schlechte Ergebnis verantwortlich gemacht und ihn zu einer Umbildung seines Kabinetts und zu einem radikaleren Kurs gezwungen. Beobachter vermuten, dass Kirchner nun den Kopf von Finanzminister Martín Guzmán fordern könnte. Während die Peronisten das Wahlresultat feierten, weil es weniger schlecht als erwartet ausgefallen war, blieb Kirchner am Sonntagabend der „Wahlfeier“ fern, wofür sie einen ärztlichen Rat zur Ruhe vorschob, und verzichtete auf Kommentare.

          Rechtspopulistische Konkurrenz

          Die Opposition sieht sich indes gestärkt. Das konservative Bündnis „Gemeinsam für den Wandel“, das vor einigen Jahren unter dem früheren Präsidenten Mauricio Macri als lokale politische Kraft in Buenos Aires entstanden ist, hat sich als eine nationale Partei etabliert. Mit Ausnahme der Wahl von 2019 hat das konservative Bündnis seine Position in den vergangenen Jahren kontinuierlich ausgebaut. Gelingt es ihm, diesen Rückhalt bis zur Präsidentenwahl in zwei Jahren zu wahren oder gar auszubauen, würde es 2023 wohl an die Macht zurückkehren. Konkurrenz droht derzeit allenfalls von rechts. In der Hauptstadt Buenos Aires, der Wiege der Opposition, erzielte der Rechtspopulist und als „Anarcho-Kapitalist“ geltende Ökonom Javier Milei ein beachtliches Resultat.

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