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Parlamentswahl in Finnland : Marin muss um Amt als Ministerpräsidentin bangen

  • Aktualisiert am

Sanna Marin war bei ihrem Amtsantritt 2019 mit 34 Jahren die jüngste Regierungschefin der Welt. Doch nicht alle sehen das als positiv an. Bild: AFP

Finnland wählt am Sonntag ein neues Parlament. Ministerpräsidentin Sanna Marin muss trotz ihrer Popularität um ihr Amt bangen. Im künftigen NATO-Mitgliedsland bahnt sich ein Dreikampf um die Regierungsmacht an.

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          Nicht sonderlich viele Menschen im restlichen Europa haben sich in der Vergangenheit für finnische Regierungschefs interessiert — dann kam Sanna Marin. Als junge, charismatische Ministerpräsidentin ist die Sozialdemokratin international zu einer der gefragtesten Politikerinnen der EU geworden. Dennoch ist völlig offen, ob sie nach der an diesem Sonntag anstehenden Parlamentswahl im künftigen NATO-Land Finnland weiterregieren kann. Gleich drei Parteien haben gute Chancen, stärkste Kraft im Parlament zu werden.

          Die konservative Nationale Sammlungspartei, die rechtspopulistische Partei Die Finnen und Marins Sozialdemokraten lagen in den Umfragen zuletzt fast gleichauf, mit minimalem Vorsprung für die Konservativen um den früheren Finanzminister und Oppositionsführer Petteri Orpo. „Jeder von ihnen kann Erster werden“, sagt der Politikwissenschaftler Juhana Aunesluoma von der Universität Helsinki. „Sie liegen so nahe beieinander, dass es unmöglich ist, das Ergebnis vorauszusagen.“

          Marin: „Haben außergewöhnliche Zeiten erlebt“

          Schon bei der vergangenen Parlamentswahl 2019 hatte die drei Parteien weniger als ein Prozentpunkt getrennt. Die Sozialdemokraten hatten die Wahl damals unter Marins parteiinternem Vorgänger Antti Rinne knapp für sich entschieden. Rinne trat jedoch nach nur knapp einem halben Jahr im Amt im Streit mit dem wichtigsten Koalitionspartner, der Zentrumspartei, zurück.

          Die aus fünf Parteien bestehende Mitte-links-Koalition blieb intakt. Angeführt wurde sie von nun an aber von der vorherigen Verkehrs- und Kommunikationsministerin Sanna Marin. Die damals jüngste Regierungschefin der Erde steht seitdem an der Spitze einer überwiegend von Frauen dominierten Regierung.

          Muss trotz ihrer Popularität um ihr Amt bangen: Die finnische Ministerpräsidentin Sanna Marin bei einer Wahlkampfveranstaltung in Helsinki.
          Muss trotz ihrer Popularität um ihr Amt bangen: Die finnische Ministerpräsidentin Sanna Marin bei einer Wahlkampfveranstaltung in Helsinki. : Bild: dpa

          Marin, heute 37 Jahre alt und seit über drei Jahren Regierungschefin, hat Finnland seitdem durch eine aufreibende Zeit geführt. Erst kam die Corona-Krise, dann der Ukraine-Krieg des Nachbarlandes Russland, an das Finnland auf satten 1340 Kilometern Länge grenzt. In Folge des Krieges entschloss sich Finnland, die Mitgliedschaft in der NATO zu beantragen. Am späten Donnerstagabend stimmte die Türkei der Aufnahme der Finnen als letztes Mitgliedsland zu – damit ist der finnische Weg in die NATO nach jahrzehntelanger militärischer Bündnisfreiheit frei.

          Marin hatte im Parlament zuletzt nochmals betont, Finnland habe in ihrer Amtszeit historische Entschlüsse getroffen und große Krisen gemeistert. „Wir haben während der Amtszeit dieser Regierung außergewöhnliche Zeiten erlebt“, sagte sie. Trotzdem seien 90 Prozent der im Regierungsprogramm festgehaltenen Ziele erreicht worden.

          Politikprofessor Aunesluoma attestiert ihr gute Arbeit. „Das ist im Grunde drei Jahre lang Krisenmanagement gewesen, und ich denke, die meisten Menschen in Finnland finden, dass die Regierung einen wirklich guten Job gemacht hat – besonders Sanna Marin persönlich“, sagt er. „Ihre Führung wird sehr geschätzt.“

          Doch es gibt auch andere Meinungen. Einige Finnen kritisieren Marins angeblich unangemessen jugendliches Verhalten. Auf ihrem Instagram-Account etwa kombiniert Marin Eindrücke aus dem Leben einer Politikerin mit Schnappschüssen aus dem Privaten, rund eine Million Menschen aus aller Welt sehen ihr dabei zu.

          „Ihr Instagram-Konto ist für Finnland wirklich einzigartig“, sagt die Social-Media-Expertin Essi Pöyry. Marin nutze die Plattform, um ihren Lifestyle zu zeigen und täglich positive Dinge zu kommunizieren. Das gefällt jedoch nicht allen. Vor allem seit im August 2022 Videos einer ausgelassen tanzenden Marin im Internet auftauchten, wurden immer wieder kritische Stimmen laut.

          NATO-Beitritt spielte im Wahlkampf kaum eine Rolle

          Vor dem Wahlsonntag ist damit letztlich völlig offen, wie die künftige Regierung aussehen und wer sie anführen wird. Für eine Zusammenarbeit mit der Finnen-Partei habe Marin die Tür zugestoßen, sagt der Ökonom und Wahlexperte Juha Tervala. Die Zentrumspartei, derzeit einer von Marins Koalitionspartnern, hat signalisiert, nicht mehr unter Führung der Sozialdemokratin weiter regieren zu wollen.

          Marin könnte damit für eine Mehrheit auf die Unterstützung der Nationalen Koalition angewiesen sein – eine in der konsensorientierten finnischen Politik durchaus übliche Zusammenarbeit. Die Nationale Koalition könnte aber auch eine Rechtsregierung mit der Partei Die Finnen bilden.

          Der NATO-Beitritt spielte im Wahlkampf keine Rolle. Der Konsens darüber sei in der Bevölkerung sowie unter Medien, Experten und den Parteien extrem groß, sagt Aunesluoma – so groß, dass man damit kaum Punkte gegenüber den politischen Kontrahenten sammeln konnte.

          Wichtiger sind vielmehr innenpolitische Themen gewesen, die Staatsfinanzen zum Beispiel, Grund- und Sozialleistungen, die älter werdende Bevölkerung, Gesundheit und Bildung. „Es ist im Grunde eine Wahl über den finnischen Wohlfahrtsstaat“, sagt Aunesluoma. Es gebe das Gefühl, dass dieses System strukturelle Probleme habe.

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