Ein Land zwischen Jubel und Schweigen
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Comeback gelungen: Luiz Inácio Lula da Silva feiert seinen Erfolg in der Wahlnacht in São Paulo Bild: Reuters
Als die Wahl gelaufen ist, geht Bolsonaro erst einmal schlafen. Sieger Lula da Silva richtet den Blick nach vorn – er will den Ruf Brasiliens wieder verbessern.
Kurz vor 19 Uhr drehte sich das Bild. An der Avenida Paulista, im Herzen der Millionenmetropole São Paulo, wurde gejubelt. Dort hatten sich am Sonntagabend Tausende Anhänger des früheren linken Präsidenten Luiz Inácio Lula da Silva versammelt, um die Auszählung der Stichwahl zwischen ihm und dem rechten Amtsinhaber Jair Bolsonaro zu verfolgen. Als Lula da Silva die Führung übernahm, kannte die Euphorie keine Grenzen mehr. Böller und Korkzapfen knallten. Die Leute fielen sich in die Arme und stimmten Sprechchöre an, die durch die von Hochhäusern gesäumte Allee halten. Zwei Drittel der Stimmen waren zu diesem Zeitpunkt ausgezählt. Eine Stunde später gab es keine Zweifel mehr. Lula da Silva hatte die Wahl mit 50,9 Prozent der gültigen Stimmen gewonnen. Am Ende trennten ihn etwas mehr als zwei Millionen Stimmen von Bolsonaro, nur 1,8 Prozentpunkte. Nie seit der Redemokratisierung Brasiliens war eine Stichwahl knapper ausgegangen.
Während immer mehr Anhänger zum Volksfest auf der Avenida Paulista strömten, traf Lula da Silva eine Parallelstraße entfernt in einem Hotel ein. Wie ein Held wurde er von den anwesenden Anhängern empfangen. Kurz darauf stand er zusammen mit seinen politischen Weggefährten vor der versammelten Presse. Das sei nicht sein Sieg, und nicht der Sieg seiner Partei. „Das ist der Sieg eines großen demokratischen Projektes, das über den Parteien und Ideologien steht“, sagte der Politiker und einstige Gewerkschaftsführer, der vor wenigen Tagen seinen 77. Geburtstag feierte. In der Tat ist es Lula da Silva gelungen, ein breites politisches Bündnis gegen Bolsonaro aufzubauen, das bis weit in die politische Mitte reicht. Zahlreiche Persönlichkeiten, die noch nie für Lula da Silvas Arbeiterpartei gewählt haben, stehen an seiner Seite. Politiker, die sich in den vergangenen Jahren abgewandt hatten, wie die einstige Umweltministerin Marina Silva, sind zurückgekehrt. Neue Verbündete und einstige Gegner sind hinzugestoßen. Sinnbild ist der künftige Vizepräsident Geraldo Alckmin, der Lula da Silva einst als Gegner in der Stichwahl gegenüberstand.
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