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Vor amerikanischem Wahlkampf : Truppenabzug auch auf dem Balkan?

Richard Grenell, der scheidende amerikanische Botschafter in Deutschland, meint, rasch ein Abkommen zwischen Serbien und Kosovo zu erreichen. Bild: AP

Richard Grenell, der scheidende amerikanische Botschafter in Deutschland, glaubt, in Windeseile den jahrzehntelangen Kosovo-Konflikt lösen zu können. Wenn er sich da mal nicht vertut.

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          Zwei Jahre lang war Richard Grenell amerikanischer Botschafter in Deutschland. Als vor einigen Wochen bekanntwurde, dass er seinen Posten verlassen werde, war Betrübnis nicht die häufigste Reaktion in Berlin. Denn seit seinem Dienstantritt im Mai 2018 hatte der Mann, der seinen Einstieg in die Diplomatie dem früheren Präsidenten George W. Bush verdankt, die deutsche Politik regelmäßig gegen sich aufgebracht. Die SPD erklärte ihn zum „diplomatischen Totalausfall“, und der stellvertretende FDP-Chef Wolfgang Kubicki stand nicht allein mit seiner Forderung, man möge Grenell zur Persona non grata erklären, da er sich wie der „Hochkommissar einer Besatzungsmacht“ aufführe. Selbst aus der besonders transatlantisch geprägten CDU wurde die Einmischung des Botschafters in innerdeutsche Angelegenheiten gerügt.

          Anlässe gab es reichlich. Mal stellte Grenell mit Sanktionsdrohungen verbundene Ultimaten an deutsche Unternehmen, dann wieder verkündete er, die europäischen Rechten stärken zu wollen, oder er kritisierte Berlin – in diesem Fall allerdings mit guten Argumenten – wegen der zu geringen deutschen Verteidigungsausgaben. Er gilt auch als Kopf hinter der Entscheidung von Donald Trump, einen Teil der in Deutschland stationierten amerikanischen Soldaten abzuziehen. Grenell hat einen guten Zugang zum amerikanischen Präsidenten. „Richard Grenell ist ein Superstar“, sagt Trump. Er erwartet viel von seiner Wunderwaffe – nun offenbar sogar einen außenpolitischen „Deal“, der positiv auf seine Präsidentschaftswahlkampagne abfärben soll.

          Seit Oktober 2019 ist Grenell auch Trumps Sondergesandter für die „Friedensverhandlungen“ zwischen Serbien und dem Kosovo. Das klingt übertrieben, denn Krieg herrscht zwischen Serbien und dem Kosovo schon seit 1999 nicht mehr. Amerikanischer Präsident war damals Bill Clinton, nach dem heute ein Boulevard in der kosovarischen Hauptstadt Prishtina benannt ist. Obwohl die Waffen seither meist schweigen, ist der Weg zu normalen oder gar gutnachbarschaftlichen Beziehungen zwischen beiden Ländern noch weit.

          Ein Abzug wäre das falsche Signal

          Das soll sich nun angeblich ändern. Am 27. Juni werden die Präsidenten Serbiens und des Kosovos, Aleksandar Vučić und Hashim Thaçi, zu Gesprächen im Weißen Haus erwartet. Nach einem Tweet Grenells soll es um die serbisch-kosovarischen Wirtschaftsbeziehungen gehen. Machen sich Trump und sein „Superstar“ also tatsächlich die Mühe, mit den Führern zweier Balkanstaaten über Güterzugverbindungen oder den Abbau von Handelshemmnissen zu verhandeln? In Belgrad und in Prishtina ist die Ansicht, es gehe Trump und Grenell um Sachfragen, recht unpopulär. Vor allem in Prishtina fürchten manche vielmehr, Grenell wolle seinem Chef ein eilig zusammengezimmertes „historisches Abkommen“ präsentieren. Im Wahlkampf werde Trump dann behaupten, er habe den Kosovo-Konflikt „gelöst“, weshalb man die amerikanische Militärbasis im Kosovo schließen und die letzten Soldaten abziehen könne.

          Für die Stabilität der Region kann man nur hoffen, dass es anders kommt, denn ein Abzug der Amerikaner wäre das falsche Signal. Der Kosovo-Konflikt ist nicht im Eiltempo zu lösen. Zu glauben, ausgerechnet der irrlichternde amerikanische Präsident und sein diplomatischer Haudrauf könnten das ändern, ist bestenfalls kühn.

          Michael Martens
          Korrespondent für südosteuropäische Länder mit Sitz in Wien.

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