Unamerikanische Werte? : Der Sozialismus als Schreckensbild
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Bis heute wird der demokratische Präsident Franklin D. Roosevelt dafür verehrt, dass er in den 1930er Jahren den Grundstein für das moderne Sozialversicherungssystem legte, die Banken regulierte, im ganzen Land Straßen und Brücken mit Staatsgeldern baute – und Künstlern wie Jackson Pollock über ein staatliches Kunstförderprogramm so viele Werke abkaufte, dass die wieder leben konnten. Der geschmähte „Sozialismus“ der linken Demokraten ist also keineswegs ohne Vorbilder im eigenen Land.
Verächtlicher als das Label „Sozialismus“ ist indessen nur noch „un-amerikanisch“ – so nannte Howard Schultz, der Starbucks-Milliardär der mit einer Präsidentschaftskandidatur liebäugelt, die Vorschläge von Ocasio-Cortez. Ob er weiß, dass Joseph McCarthy mit dem „Ausschuss für un-amerikanische Umtriebe“ in den 1950er Jahren vermeintliche Kommunisten jagte und dabei großen Schaden im Leben von Menschen anrichtete, sagte er nicht.
Keinen Begriff für Sozialdemokratie
Schultz, Trump und andere haben den Vorteil, dass Ocasio-Cortez und ihre Kollegen von dem Begriff Sozialismus nicht lassen wollen – und dass viele Amerikaner ihn gar nicht definieren können. Einer Gallup-Umfrage vom Oktober 2018 zufolge verbinden 23 Prozent der Bevölkerung mit dem Wort „Gleichheit, gleiches Recht für alle, Verteilungsgerechtigkeit“, 17 Prozent sagen, es handele sich um „die staatliche Kontrolle über die Produktionsmittel, staatliche Kontrolle der Wirtschaft und Unternehmen“ und zehn Prozent nennen „Gratis-Sozialleistungen und Gesundheitsversorgung“ Sozialismus. Zu geringeren Anteilen im einstelligen Bereich wurden „eine modifizierte Form des Kommunismus“ oder auch die „Einschränkung von Freiheit“ genannt. Etwa 23 Prozent sagten, sie könnten die Frage nicht beantworten. Das selbe Umfrageinstitut berichtete aber auch im August, dass 30 Prozent der jungen Wähler Sozialismus positiv gegenüber stünden.
„Für mich bedeutet demokratischer Sozialismus, dass ich daran glaube, dass in einer modernen, moralischen und reichen Gesellschaft in Amerika kein Mensch zu arm zum Leben sein sollte,“ sagte Ocasio-Cortez kürzlich. Man kann es als strategische Schwäche der amerikanischen Linken ansehen, dass sie kein Wort für Sozialdemokratie oder keinen Oberbegriff analog dem britischen „Labour“ benutzen. Auch führen sie die Diskussion bislang nicht, die viele europäische Linke jahrzehntelang geführt haben: ob mit der Vergesellschaftung von Produktionsmitteln eigentlich notwendig ihre Verstaatlichung gemeint sei – oder ob die Kontrolle der Produktionsmittel durch die lohnabhängige Bevölkerung auch anders zu erreichen sein könnte.
Stattdessen versuchen Ocasio-Cortez, Bernie Sanders und andere zunächst einmal, einen Begriff positiv zu besetzen, der für viele Landsleute negativ aufgeladen ist und nehmen in Kauf, dass Trump und andere stets kommunistische Staatssysteme und sich sozialistisch nennende Cliquen-Regime anführen. „Venezuela ist das sozialistische Ödland, in das Alexandria Ocasio-Cortez und die Demokraten Amerika führen“, kommentierte Trumps Lieblingssender Fox News die Auseinandersetzung.