Unamerikanische Werte? : Der Sozialismus als Schreckensbild
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Demgegenüber werden große Teile des Gesundheits- und Bildungssystems privaten Unternehmen überlassen: Menschen starten auf der Webseite gofundme.com Kampagnen, um ihre Chemotherapie zu finanzieren und verschulden sich schon für ein mittelmäßiges Studium auf Jahrzehnte. Republikaner wie Bildungsministerin Betsy DeVos nennen das System eine Meritokratie, in der nur die Leistung fürs eigene Fortkommen zähle – wer das bezweifelt, der will die Freiheit abschaffen und den „Sozialismus“ einführen.
Der Historiker Kevin M. Kruse von der Universität Princeton zeigt in seinem Buch „White Flight“ („Weiße Flucht“) eindrucksvoll, wie stark sich die Staatsfeindlichkeit in der weißen Bevölkerung des 20. Jahrhunderts auch mit dem gewaltsamen Widerstand gegen die Bürgerrechtsbewegung verknüpfte und durch sie wuchs. Dass der Staat und der Oberste Gerichtshof, Weiße im Süden zwingen wollten, ihre Kinder auf integrierte Schulen zu schicken und Wohnungen an Afroamerikaner zu vermieten, führte zu einer breiten Bewegung der Privatisierung von Schulen und der Abwanderung aus den Innenstädten.
Soziale Programme, die auch die historisch bedingte überwältigende Benachteiligung von Schwarzen abfedern sollten, wurden nicht nur im Süden rassistisch verleumdet. Das propagandistische Phantasiebild einer afroamerikanischen „Welfare Queen“ fand Eingang in den nationalen politischen Diskurs – Ronald Reagan gewann mit der rassistischen Parole von der sich angeblich auf Sozialhilfe ausruhenden schwarzen Frau Wahlen. „Sozialismus“ richtet sich im Denken vieler amerikanischer Rechter auch gegen ihren Wunsch nach Abschottung.
Lateinamerika im Blick der Antikommunisten
Die Antikommunisten in den Vereinigten Staaten gaben sich allerdings historisch selten damit zufrieden, den Sozialismus im eigenen Land zu bekämpfen. Unter den Folgen der CIA-Interventionen gegen sozialistische Regierungen in Lateinamerika leiden viele Länder dort noch heute.
Einst schickten die Amerikaner auch die „Chicago Boys“, Vertreter der extrem neoliberalen Schule der Wirtschaftswissenschaft nach Chile, um die Regierung des faschistischen Diktators Augusto Pinochet zu unterstützen. Heute gehen Ökonomen aus dieser Traditionslinie nach Brasilien und in andere Länder. Präsident Jair Bolsonaro holte nicht nur Wirtschaftsminister Paulo Guedes ins Kabinett, mit ihm kam ein Team von ebenfalls in Chicago ausgebildeten Kräften. Guedes sagte der „Financial Times“: „Die Chicago Boys haben Chile wieder flott gemacht, haben das Chaos aufgeräumt.“ Nicht nur Trump, auch andere Republikaner äußern sich immer wieder positiv über Bolsonaro.
Ideen der Linken sind nicht neu
Aber nicht nur die Gegner der Linken können sich auf eine reiche Tradition berufen. Ocasio-Cortez' Vorschlag, Milliardeneinkommen mit 70 Prozent und mehr zu besteuern, ist nicht so neu wie die aufgeregten Reaktionen es vermuten lassen. In Amerika gab es so hohe Steuersätze etwa auch in den 1960er und 70er Jahren. Helfen sollen sie beispielsweise unterfinanzierten öffentlichen Schulen und Universitäten, die keine Großspenden erhalten. Und ihren „Green New Deal“, mit dem Investitionen in erneuerbare Energien gefördert werden sollen, lehnen Ocasio-Cortez und ihre Kollegen mit der Namensgebung an die Roosevelt-Ära großflächiger Staatsintervention an.