Unglück der Costa Concordia : Was vom Urlaub übrig blieb
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Gerhards schwarze Handtasche und Roswithas Pillendöschen.Alles andere blieb an Bord Bild: Rainer Wohlfahrt
Erst an Land begreifen sie, was geschehen ist: Die Kochs buchten ihre erste Kreuzfahrt und gingen an Bord der „Costa Concordia“. Es waren perfekte Ferien - bis am letzten Abend das Licht ausging.
Es hätte auch ein richtig guter Zaubertrick sein können. Das Rentnerehepaar Roswitha und Gerhard Koch hat sich am letzten Abend der Kreuzfahrt extra ganz nah an die Bühne gesetzt, um mitzubekommen, wie Magier Martin eine Frau verschwinden lässt. Das Licht flackert, kurz herrscht Dunkelheit. Ein Knirschen ist zu hören. Als das Licht wieder angeht, hängt der Vorhang schief, und der Magier samt Frau und Showgirls sind weg.
Dafür sind die Tische nun schräg, die Gläser umgekippt. Frau Koch hat sich im Reflex den bauchigen Schwenker mit ihrem Baileys-Drink geschnappt. Dem Nachbarn läuft sein Sahnecocktail über den Anzug. Er ahnt noch nicht, dass er die nächsten 24 Stunden in dem besudelten Kleidungsstück verbringen wird.
Das Zimmer bleibt dunkel
Die Bühne bleibt leer. Vor ein paar Tagen stand dort Kapitän Francesco Schettino, begrüßte die Gäste, ließ sich für 16 Euro fotografieren. Ein richtiger Gigolo, dachte Frau Koch. Hauptsache, er macht seine Arbeit vernünftig, sagte ihr Mann. Sie sind seit 42 Jahren verheiratet.
Das Schiff hat Schräglage. Die Kochs wollen in ihre Kabine zu den Rettungswesten, wie man es ihnen am ersten Reisetag für Notfälle erklärt hat. Am Ausgang des Theaters rollen die hohen silbernen Mülleimer umher. Frau Koch stellt ihren Baileys-Drink vor dem Aufzug ab. Hoffentlich stolpert niemand darüber, denkt sie. Dann fällt ihr ein, dass die Aufzüge jetzt wahrscheinlich gar nicht mehr funktionieren.
Ein Deck höher hat die Crew die Mülleimer wieder aufgestellt. Das Ehepaar arbeitet sich gegen die Schräglage am Treppengeländer vier Stockwerke vom Theater bis zu seiner Außenkabine hoch. In den Fluren brennt die grün-weiße Notbeleuchtung. Das Zimmer bleibt dunkel. Die Kochs holen die Schwimmwesten aus dem Schrank. Sie legen sie in die Tür, um drinnen überhaupt etwas zu erkennen. Viele ihrer Sachen liegen verstreut auf dem Boden, auch der Rosenkranz aus kleinen weißen Perlen, den sie am Nachmittag in Rom für ihr Patenkind gekauft haben. Das Wetter war schön, sie sind viel herumgelaufen. Der Ausflug war der letzte ihrer einwöchigen Mittelmeer-Kreuzfahrt, ihrer ersten Kreuzfahrt überhaupt. Jeden Landgang haben sie mitgemacht, Avignon, Barcelona, Palermo. Manchmal fuhr das Schiff schon am Nachmittag weiter, dann lagen sie an Deck. Zugedeckt und eingewickelt in flauschige Frotteehandtücher, genossen sie die Sonne.
Am nächsten Tag sollte es von Savona mit dem Bus zurück nach Fulda gehen.
Die Herrenhandtasche ist noch gepackt vom Rom-Ausflug
Auf dem Schiff versichert jetzt eine Frauenstimme in mehreren Sprachen durch die Lautsprecher, dass es sich nur um einen „technischen Defekt“ handelt. Roswitha Koch bückt sich und beginnt, ihre Medikamente in die goldene Pillendose mit den Raffael-Engeln zu sammeln. Sie steckt die Dose ein. Danach öffnet sie die Tür zu ihrem Balkon an Deck acht. Im Tagesprogramm „Kapitän Francesco Schettino informiert“ hat es am Morgen geheißen: „Um 21.30 Uhr werden wir mit 2,5 Seemeilen Entfernung das Capo d’Uomo passieren. Wir durchqueren den Kanal, der in einer Entfernung von 5 Seemeilen den Argentario von der Insel der Lilie trennt.“ Das wäre vor mehr als einer halben Stunde gewesen. Sie müssten sich also wieder auf dem Meer befinden. Doch Frau Koch erkennt Land in unmittelbarer Nähe. Dann hört sie die Schreie unter sich in der Dunkelheit.
Sie drängt ihren Mann, die dicken Jacken aus dem Schrank zu nehmen. Sie erinnert sich an die Rettungsübung vor sechs Tagen und wie der Wind trotz des strahlend blauen Himmels an ihren Kleidern gezerrt hat. Und jetzt ist es nach 22 Uhr, und der Wind ist bestimmt noch kälter.