UN-Kriegsverbrechertribunal : Früherer UÇK-Führer Haradinaj freigesprochen
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Freigesprochen: Der frühere UÇK-Führer Ramush Haradinaj (l.) sowie der Mitangeklagte Idriz Balaj (r.) Bild: REUTERS
Das UN-Kriegsverbrechertribunal für das ehemalige Jugoslawien in Den Haag hat den früheren Führer der „Befreiungsarmee Kosovos“ (UÇK) Ramush Haradinaj in allen Anklagepunkten freigesprochen.
Nach dem Freispruch für den ehemaligen kosovo-albanischen Freischärlerführer Ramush Haradinaj und zwei Mitangeklagte durch das UN-Kriegsverbrechertribunal für das ehemalige Jugoslawien ist es in Serbien und dem Kosovo zu den erwarteten Reaktionen schroffer Ablehnung beziehungsweise triumphierender Zustimmung gekommen.
Serbiens Präsident Tomislav Nikolic, in den neunziger Jahren ein Führer des großserbischen Nationalismus, sagte, das Urteil beruhe „nicht auf Wahrheit und Gerechtigkeit“. Das UN-Tribunal in Den Haag sei offenbar geschaffen worden, „um das serbische Volk zu verurteilen“. Das Urteil werde die weitere Abwendung der Serben von Europa befördern, so Nikolic sinngemäß.
Dacic: „Politisches Urteil“
Serbiens Regierungschef Ivica Dacic sagte, der Freispruch sei ein neuerliches Beispiel für ein „politisches Urteil“ des Tribunals. Dennoch werde Serbien den von der EU geforderten Dialog mit Prishtina fortsetzen, weil dies im serbischen Interesse liege.
In der kosovarischen Hauptstadt Prishtina wurde der Freispruch mit einem Feuerwerk gefeiert. Die Urteilsverkündung war vom kosovarischen Fernsehen direkt übertragen worden. Ein Regierungssprecher sagte, das Urteil beweise, dass die albanische „Befreiungsarmee Kosovo“ (UÇK) einen „gerechten Freiheitskampf“ geführt habe.
Haradinaj, der vor seiner Anklage im Jahr 2005 für kurze Zeit Ministerpräsident des damals noch nicht unabhängigen Kosovos war, steht nun eine Rückkehr in die Politik offen. Bereits im April 2008 waren er und ein Mitangeklagter von allen Vorwürfen freigesprochen, der dritte Angeklagte, Lahi Brahimaj, hingegen zu sechs Jahren Haft verurteilt worden. Die Anklage legte Berufung ein, da zwei wichtige Zeugen nicht gehört worden seien. Ab August 2011 kam es zur partiellen Wiederaufnahme des Verfahrens, in deren Verlauf auch die zwei zuvor nicht gehörten Zeugen Aussagen machten.
„Keine direkten Beweise“
Dass sich die von der Anklage geschilderten Verbrechen - unter anderem Folter und Mord an Gefangenen der UÇK - tatsächlich ereignet haben, sah das Gericht am Ende des neuerlichen Verfahrens in vielen Fällen als erwiesen an. Jedoch wirkten einige Zeugen nicht überzeugend auf die Richter. Außerdem habe die Anklage „keine direkten Beweise“ in dem zentralen Anklagepunkt eines „gemeinsamem kriminellen Unternehmens“ geliefert. Laut Anklage hegten die drei Angeklagten den Plan einer systematischen Vertreibung von Serben und Roma aus ihrem damaligen Herrschaftsgebiet im Kosovo. Das sei aber aus den vorgebrachten Indizien nicht ersichtlich.
Zwar habe es womöglich durchaus einen Plan der Angeklagten gegeben, in dem improvisierten Gefangenenlager Jabllanice (serbisch Jablanica) Serben, Roma sowie der Kollaboration mit den Serben verdächtigte Albaner festzuhalten und zu misshandeln. Doch darauf beziehe sich die Anklage nicht und somit seien diese Fälle „jenseits des Rahmens dieses Verfahrens“. Zudem deute nichts in den präsentierten Beweisen darauf hin, dass Haradinaj an den Misshandlungen beteiligt gewesen sei.
Die Richter sahen es in einem Fall vielmehr als erwiesen an, dass Haradinaj, nachdem er von Misshandlungen erfuhr, den Verantwortlichen gesagt habe, dass sich so etwas nicht wiederholen dürfe, da es „unserer Sache schadet“. Ein zentraler Satz der Urteilsbegründung lautet: „Die Anklage hat keinen glaubwürdigen Beweis dafür vorgelegt, dass Ramush Haradinaj von den auf dem UÇK-Gelände Jabllanice/Jablanica begangenen Verbrechen überhaupt Kenntnis hatte.“
Die Angst der Zeugen
Die serbische Menschenrechtlerin Natasa Kandic sagte, das Urteil bedeute nicht, dass sich die von der Anklage geschilderten Verbrechen nicht ereignet hätten. Im Gegenteil, die Richter sähen viele dieser Verbrechen als erwiesen an. Es sei Aufgabe der zuständigen Behörden im Kosovo, die Täter zur Rechenschaft zu ziehen. Als „außergewöhnlich problematisch“ bezeichnete sie die Angst vieler albanischer Zeugen, „gegen irgendeinen auszusagen, der eine höhere Funktion in der UÇK innehatte. Da hat sich nichts geändert.“
Sie sprach von der Angst, „über das zu reden, was geschah“. „Damit müssen sich die EU und die kosovarischen Behörden befassen“, so Frau Kandic. Es gehe darum, wer die Kontrolle hatte und an den Ermordungen von Serben, Roma, aber auch vermeintlich serbenfreundlichen Albanern beteiligt war.